■ Scheibengericht: Yungchen Lhamo / Sheila Chandra
A bonecronedrone
(beide Real World)
Dinggg, macht die Klangschale, und es beginnt mit dem obligatorischen Mönchsmurmeln: Om Mani Padme Hum, das zentrale tibetische Mantra überhaupt. Es folgt weniger vorhersehbar, eine leise, fast reine Vokalaufnahme. Auf ihrem Europa-Debüt interpretiert die tibetische Sängerin Yungchen Lhamo traditionelle Gesänge, religiöse Chants wie profane Weidelieder, die, im vollen Vertrauen in die Tragkraft ihrer Stimme, mit minimaler Instrumentierung auskommen: Hier trötet ein tibetisches Horn, dort pfeift ein bißchen Wind aus der Konserve. Ansonsten: 100 Prozent natürliche Zutaten aus kontrolliert weltmusikalischem Anbau. Keine musikethnologische Feldaufnahme, sondern eine Hochglanz-Studioproduktion, die aber auf jeden überflüssigen Zierat verzichtet und somit vom naheliegenden Abgleiten in Ethno- oder Eso-Kitsch verschont bleibt. Trotzdem natürlich demnächst bei Ihrem Tarotkartendealer zu haben. Ein Wunder eigentlich, daß die übergreifende Konsenshaftigkeit des tibetischen Buddhismus, personfiziert durch den Dalai Lama, den eigentlich jeder, außer Jutta Ditfurth, gut findet, selbst nach Bertolucci bisher keinen entsprechenden Veröffentlichungsboom tibetischer Mönchsgesänge nach sich gezogen hat, wie etwa bei nordamerikanischer Indianerweisen oder beim unvermeidlichen Didgeridoo zu beobachten. Tibet, das versunkene Arkadien der Neuzeit, diente aber schon als Zitatekiste für professionelle Klang-Kleptomanen vom Schlage eines Michael Cretu. Wie das eben so ist mit der Spiritualität im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit: These Roots are made for Sampling.
Yungchen Lhamo, die vor sieben Jahren aus Tibet kommend über den Himalaja stapfte, vermag so disparate Publika wie UN-Parlamentarier, Tibet-Freunde und Pariser Nightclubber in den Bann ihrer Stimme zu schlagen und bewegt sich somit unweigerlich auf jenes Pop-Startum hin, von dem sich Sheila Chandra willentlich abgewandt hat.
Mit der Single „Ever so lonely“ ihrer Band Monsoon erklomm die in London geborene Tochter indischer Eltern 1982, im Alter von 16 Jahren, die britischen Top ten. Nach diesem Erfolg verschrieb sie sich zunehmend dem Experiment. In ihrer Stimme fusionierte sie verschiedene Volkaltraditionen und verwob britischen Folksgesang mit indischer Ghazaltechnik oder balkanischem Volkslied – vom einstigen Pop-Potential kündet heute nur noch ein lautmalerisches „tatutakatukutak“ in einem MTV-Trailer. Auf „a bonecronedrone“, dem Abschluß ihrer „Real World“-Trilogie, endet die Reise nun im prämelodischen Urschlamm des Summens. Wie Steine unter einem Vergrößerungslas sieht Sheila Chandra ihre Kompositionen und fragt selbst: „Sechs Steinbrocken, ist das ein Album?“ In den Schwingungen der Stücke, die konsequenterweise keine Namen, sondern Nummern haben, verbergen sich die Melodien, mit denen es sich verhält wie mit den berühmten Tintenklecksen: Manch einer erkennt ganze Figuren darin, für andere sind und bleiben es Tintenkleckse. Eine Platte, die Joachim-Ernst Berendt gefallen dürfte, der gewöhnliche Musikkonsument aber beißt womöglich auf Stein.
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