■ Scheibengericht: Diverse
The Road of the Gypsies (Network/2001)
Weltmusik-Sampler sind in der Regel eine ärgerliche Angelegenheit. Stücke aus den verschiedensten Ecken der Welt werden zusammenhanglos durcheinandergewürfelt und zu einer transkontinentalen Suppe verrührt, die einzelnen Songs oft von höchst wechselhafter Qualität, und Hintergrundinformationen fehlen meist völlig. Über allem das ungeschriebene Motto: Alles so schön bunt hier. Nicht so beim Frankfurter Network-Label. Wenn schon kompilieren, dann mit Sinn und System, hat man sich geschworen. Und wer verdiente nicht mehr einer solchen Würdigung als jene Musiker „zigeunerischer“ Abstammung, die das musikalische Leben Europas in den letzten Jahrhunderten so maßgeblich prägten? Kein Geheimnis, daß Roma-Musiker in vielen Ländern, von der Türkei bis nach Spanien, zu den Besten ihres Metiers gehören und zuweilen, wie in Ungarn, stellvertretend für die Folklore eines ganzen Landes stehen. Aber Roma finden sich auch in anderen Gegenden wieder, nicht nur in Rajasthan oder Afghanistan, dem Gebiet ihrer ursprünglichen Herkunft, sondern auch im Nahen Osten und in Ägypten. In den Gesellschaften, in die sie stießen, fanden sie oft genug als Gebrauchsmusiker bei Hochzeiten und Festen eine Art ökologischer Nische und ein Auskommen. Zwischen romantischer Überhöhung und realer Ausgrenzung bewegt sich seitdem ihre Existenz.
Heute, unter den Bedingungen veränderter Musikrezeption, machen das Radio und der Kassettenrecorder auch in entlegenen Gegenden der gelebten Musik Konkurrenz. Im Gegenzug drängen „Zigeuner“-Musiker zunehmend auf den unübersichtlichen Tonträgermarkt der westlichen Welt. „Road of the Gypsies“ bietet da ein unerläßliches Kompendium zur Orientierung.
Man weiß nicht, wen man in dieser Sammlung hervorheben soll: Prominenz wie den legendären Flamencosänger El Cameron de la Isla, den großartigen bosnischen Komponisten Goran Bregović oder die notorische rumänische Truppe Taraf de Haidouks. Oder die vielen zu Unrecht weniger bekannten Namen, vorwiegend vom Balkan oder aus Osteuropa.
Vor allem jedoch demonstriert der Sampler eindrucksvoll, in welchem Maße die Roma, gewöhnlich Projektionsbild des Fremden und anderen, ureigentlich die Bewahrer europäischer Volkskultur sind. Das verbindende „zigeunerische“ Element ist weniger ein gemeinsamer Stil als vielmehr Virtuosentum und Intensität. Was auch heißt, daß die mit 32 Stücken randvoll gepackte Doppel-CD den unvorbereiteten Hörer mit ihrer geballten Emotion schier zu erschlagen droht – wahrlich keine harmlose Hintergrundmusik für die lauschige Gartenparty.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen