■ Scheibengericht: Carey Bell
Good Luck Man (Alligator Records ALCD 4854)
Mehr als 2.500 Dollar standen nicht zur Verfügung. Mit diesem Startkapital rief Bruce Iglauer 1972 die Schallplattenfirma Alligator Records ins Leben, die sich seitdem zum führenden Label in Sachen Blues gemausert hat. Zuerst konzentrierte sich Iglauer ganz auf die Clubs des schwarzen Ghettos von Chicago, bevor er die gesamte amerikanische Szene einbezog. Vom Country Blues eines Corey Harris über den Honkytonk-Stil von Katie Webster bis zum Blues- Rock eines Johnny Winter ist heute bei Alligator alles vertreten, was für Blues der rauhen, unverfälschten Art steht. Seit Bruce Iglauer einst von Carey Bell mit einer doppelläufigen Flinte aus den Händen einer Straßengang befreit wurde, verbindet den Labelboß und den Bluesharpspieler ein besonderes Verhältnis.
Schon auf der zweiten Alligator-Platte war Bell vertreten, als Sideman der Blueslegende Big Walter Horton. Heute macht er Platten unter eigenem Namen. Der Harmonikaspieler ist einer der letzten Musiker, die noch die Weihen erfahren haben, aus erster Hand von Little Walter und Sonny Boy Williamson zu lernen. Das war Mitte der 50er Jahre. Damals war Bell gerade von seinem Geburtsort Macon, Mississippi, nach Chicago gekommen, wo er die bittere Erfahrung machen mußte, daß die akustische Spielweise des Delta in der Industriemetropole am Michigansee nichts mehr galt. Hier waren schrillere Töne gefragt, die dadurch erzeugt wurden, daß man mit der Harmonika laut und dröhnend in einen Verstärker blies, was bald zu einem Markenzeichen des Rhythm & Blues wurde.
Nach 40 Jahren „on the road“ – unter anderem mit Muddy Waters und Willie Dixon – beherrscht Bell die elektrische Spielweise in allen Facetten. Ob im schnellen Shuffle- Rhythmus, im knackigen Blues- Rock oder im Boogie-Woogie- Beat, immer serviert er klare Melodiefolgen in unverschnörkelter Manier. Aber erst in den langsamen Nummern tritt sein Talent voll zutage, wenn er sich Zeit nimmt, um jeden einzelnen Ton mit den Lippen zu formen, mit den Händen zu modellieren und mit den Lungen nach oben oder unten zu ziehen. „Chicken Skin Music“ scheint nicht der schlechteste Ausdruck dafür zu sein.
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