■ Scheibengericht: Malagasy Music
Madagaskar 1–4 (Feuer&Eis/ Efa FUEC 704, 706, 712 und 720)
Was für die Schweiz das Alphorn und für Schottland der Dudelsack, ist für Madagaskar die Valiha. Die Kastenzither mit Fahrradbremszügen als Saiten besitzt in der madagassischen Kultur eine Sonderstellung. In der Urzeit wurden ihr magische Eigenschaften nachgesagt. Bei kultischen Anlässen stellte sie die Verbindung ins Reich der Toten her. Nur mit ihren Tönen ließen sich die Geister der Ahnen anrufen. Später avancierte die Valiha zum Lieblingsinstrument am königlichen Hof, bevor sie auch in der profanen Musik Verwendung fand.
Die Bandbreite der Instrumententypen ist enorm: Man trifft auf Naturinstrumente, deren Saiten aus dem Holz herausgegerbt wurden, während andere einen zerbeulten Benzinkanister als Resonanzkörper besitzen. Im Timbre spiegelt sich die Vielfalt. Manche Instrumente verfügen über „einen derart weichen Klang, daß man meinen könnte, sie seien parfümiert“, wie es in einem Lied heißt, andere klingen eher dumpf wie ein Holzxylophon. Mama Sana, die beim musizieren fortwährend mit dem Kopf wackelt, um die Münzen in ihren Zöpfen zum Klingen zu bringen, spielt ein Instrument namens „Mamphihevo“, was soviel heißt wie: „die, die tanzen läßt“.
Aus dem Bambus klingt eine engelhafte Musik, die Madagaskar nicht als Insel, sondern als Kreuzungspunkt der unterschiedlichsten Kulturen ausweist. Asiaten, Araber, Afrikaner und Europäer – alle haben ihre Spuren hinterlassen, wobei sogar französische Quadrillen und Sonatinen der Mozart- Zeit gelegentlich durchschimmern, die sich einst am madagassischen Königshof großer Wertschätzung erfreuten. Obwohl die Valiha als Nationalinstrument gilt, ist ihre Präsenz nicht erdrückend. Andere Instrumente behaupten ebenfalls ihren Platz, wie Schalmei, Mandoline, Akkordeon oder Violine. Dazu kommen Vokalensembles, Trommlergruppen und große Chöre. Als Birger Gesthuisen auf seinem Minilabel vor neun Jahren die erste Platte dieser nun kompletten 4-CD-Box veröffentlichte, galt Madagaskar als weißer Fleck auf der Weltkarte der Ethnomusikfans. Nach mehr als hundert Produktionen kann davon heute keine Rede mehr sein. Doch hat sich der Boom für den Pionier nicht ausgezahlt – im Gegenteil. Während Trittbrettfahrer wie Henry Kaiser und David Lindley den Rahm abschöpften (ihre Madagaskar-Produktion verkaufte sich weltweit mehr als hunderttausendmal), trägt sich Gesthuisen mit dem Gedanken, den Betrieb seines „Feuer & Eis“-Labels einzustellen – wegen kommerzieller Erfolglosigkeit!
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