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Schaustelle fürs Volk

Was für die professionellen Berlin-Werber eher eine Notlösung war, um das touristisch ereignisarme Jahr 1996 zu überbrücken, ist für die Bewohner der Stadt eine einmalige Gelegenheit, Architektur am eigenen Leibe zu erfahren. Die „Schaustelle Berlin“ ist jedenfalls schon nach dem zweiten Wochenende ein Erfolg. Schon der Architektenstreit zeigte ja, daß die Debatte um Sinn und Form der Nachwendearchitektur längst aus den Feuilletons herausgewachsen war. Der nunmehrige Andrang auf die Schau- und Baustellen läßt darüber hinaus vermuten, daß die Bewohner der Stadt ein größeres Interesse am gegenwärtigen Baugeschehen haben, als es die täglichen Klagen über Baustellen, Staus und Staub vermuten ließen. Daß die Besucher am Potsdamer Platz oder in der Friedrichstraße dabei nur selten mit der Meinung von Architekturkritikern oder Wettbewerbsjuroren einhergehen, ist erfrischend – selbst wenn der Blick auf die Fassade nur einen Teil der architektonischen Wirklichkeit erfaßt. Schließlich ist Architektur nicht nur intellektuelle Arbeit oder der Zwang nach Originalität, sondern auch die Kunst, sich in den städtischen Raum zu fügen. Daß urbane Atmosphäre dabei nicht nur eine Frage von Gestaltungssatzungen oder Fassadenvorschriften ist, sondern vor allem ein Ergebnis kleinteiliger Nutzungen und städtebaulicher Mischung, scheint den Besuchern geläufiger als manchen Investoren. Schon deshalb sollten Investoren und Architekten verpflichtet werden, nicht nur Politikern und Wettbewerbsauslobern, sondern auch dem Volk aufs Maul zu schauen. Uwe Rada

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