Schauspielerin Julia Jentsch über ihre Karriere: "Ich bin glücklich über meinen Weg"
Im Kino ist Julia Jentsch gerade als Hitler-treue Sudetendeutsche zu sehen. Auch dass sie in zwei Sprachen spielen sollte, habe sie gereizt, sagt die erfolgreiche Schauspielerin.
taz: Frau Jentsch, haben Sie Ihre Autogrammkarten dabei?
Julia Jentsch: Nein. Warum?
Julia Jentsch, geboren 1978 in Berlin, studierte von 1997 bis 2001 an der Hochschule Ernst Busch in Berlin Schauspiel und ging anschließend zu den Münchner Kammerspielen. Zurzeit ist sie in Jirí Menzels Film "Ich habe den englischen König bedient" zu sehen; zuvor war sie unter anderem in "Die fetten Jahre sind vorbei" und "Sophie Scholl - Die letzten Tage" zu sehen.
Sie scheinen sich immer noch nicht mit ihnen angefreundet zu haben. Ihre Agentin musste sie Ihnen zu Beginn Ihrer Filmkarriere regelrecht aufdrängen.
Stimmt. Sie hat mehrmals erwähnt, dass sie es sinnvoll fände, wenn ich mich mal um Autogrammkarten kümmern würde. Ich habe das immer abgestritten und dann stand irgendwann dieser schwere Karton an der Pforte der Kammerspiele.
Können Sie mittlerweile verstehen, warum Leute ein Autogramm von Ihnen haben wollen?
Es freut mich zu sehen, wenn ich Menschen damit eine Freude machen kann, aber wirklich nachvollziehen kann ich es nicht.
Was ist Ihr Problem damit?
Mittlerweile ist es völlig okay für mich, aber anfangs war es dieses Gefühl, sein eigenes Bild zu verteilen, das mir völlig widerstrebte.
Warum?
Es erschien mir vermessen, dass ich plötzlich Autogramme geben sollte. Ich dachte, gut, jetzt habe ich ein, zwei Filme gemacht - aber Autogramme? Die geben doch nur Menschen, die schon länger in diesem Beruf erfolgreich sind.
Wie Catherine Deneuve, mit der Sie 2007 für den Sat.1-Film "Frühstück mit einer Unbekannten" vor der Kamera standen. Wie wars?
Ich fand Catherine Deneuve schon immer eine wunderschöne Frau, die tolle Filme gemacht hat. "Begierde" ist einer meiner Lieblingsfilme. Ihr mal live zu begegnen und sogar mit ihr zu spielen - das war schon ein außergewöhnlicher Moment für mich, auch wenn wir nur eine kurze Szene hatten.
Nie daran gedacht, sich ein Autogramm geben zu lassen, um irgendein Souvenir von dieser Begegnung zu haben?
Nein, das Bedürfnis, diesen flüchtigen Moment irgendwie festzuhalten, hatte ich nicht. Ich habe ja die Erinnerung an dieses Erlebnis. Es war mir viel wichtiger, ihr zu sagen, wie es mich gefreut hat, sie kennenzulernen und mit ihr zu arbeiten.
Wie hat die Deneuve reagiert?
Mit einem Lächeln. Sie hat es angenommen, ist aber nicht weiter drauf eingegangen.
Wie oft hat Ihnen das schon jemand so explizit gesagt?
So explizit? Ich kenne es eigentlich nur so, dass man sich - gerade unter gleichaltrigen Kollegen - beim ersten Treffen gegenseitig sagt, ist ja cool, dass wir mal zusammenarbeiten.
Ich weiß, es ist ganz furchtbar, mit Zitaten aus früheren Interviews konfrontiert zu werden …
… Vor allem ist es oft überraschend …
… aber ich fand es sehr aufschlussreich, was Sie mal übers Theaterspielen gesagt haben: "Ich habe nie beweisen müssen, wie viel es mir bedeutet." Bei Ihnen lief alles so glatt: von der Schauspiele an die Münchner Kammerspiele und weiter zu Film und Fernsehen.
Ich kenne Kollegen und Kolleginnen, die 15 Mal an verschiedenen Schauspielschulen vorgesprochen haben, bis sie zugelassen wurden. Darunter sind heute bekannte Leute, von denen man das niemals denken würde. Wenn ich solche Geschichten höre, bewundere ich diese Ausdauer, diesen Mut, immer wiederzukommen und sich der Prüfung zu stellen - auch auf die Gefahr hin, dass man wieder weggeschickt wird.
Sie hätten aufgegeben?
Ich glaube, ja. Ich hätte mir wohl relativ schnell gesagt: Dann soll es nicht sein, das ist nicht dein Weg, mach etwas anderes und such dir eine freie Theatergruppe, wenn dich die Leidenschaft nicht loslässt.
Wenn es in Berlin nicht auf Anhieb geklappt hätte …
… dann hätte ich in dem Jahr schon noch weitergemacht, aber ich hätte wohl nicht noch ein Jahr gewartet und noch eins.
Haben Sie Kollegen vielleicht insgeheim sogar darum beneidet, dass Sie für Ihre Karriere kämpfen mussten?
Eigentlich nicht. Ich bin glücklich über meinen vergleichsweise geraden Weg. Das heißt aber nicht, dass ich nicht auch manchmal kämpfen muss.
Wogegen?
Gegen mich selbst und meine Grenzen zum Beispiel. In den meisten Rollen bin ich irgendwann an einen Punkt gelangt, an dem ich nicht weiterkam, obwohl ich es wollte, an dem ich total blockiert war. Wenn man dann schließlich - auch durch die mal mehr, mal weniger feinfühlige Hilfe der Regisseure - diese Grenze überwunden hat, merkt man erst, was man dadurch gewonnen hat, an Erfahrung und Freiheit.
Wofür haben Sie zuletzt gekämpft?
Dafür, dass ich weiter in der "Nibelungen"-Inszenierung von Andreas Kriegenburg spielen kann, obwohl ich "Effi" gedreht habe. Für die Wiederaufnahme sollte meine Rolle umbesetzt werden. Diese Arbeit ist aber - neben dem "Othello" von Luk Perceval - eine meiner liebsten am Theater.
Was haben Sie getan?
Ich habe den Produzenten von "Effi", Günter Rohrbach, um ein persönliches Gespräch gebeten und hatte Glück, dass er ein theaterbegeisterter Mensch ist. Es war auch bestimmt nicht von Nachteil, dass meine Theaterkollegen Unterschriften dafür gesammelt haben, dass wir zusammenbleiben.
Wie haben Sie sich geeinigt?
Ich musste auf die Proben vor der Wiederaufnahme verzichten, die Filmproduktion konnte manchmal eine Stunde oder auch zwei weniger drehen, weil ich auf den Flieger musste, und das Theater musste in der ständigen Panik leben, ob Julia rechtzeitig da ist.
Ihren aktuellen Film "Ich habe den englischen König bedient" haben Sie in Tschechien gedreht. Es ist Ihre erste Produktion außerhalb Deutschlands. Welche Rolle hat das bei der Entscheidung für Jirí Menzels Film gespielt?
Klar war das ein Grund, hellhörig zu werden. Auch dass ich in zwei Sprachen, Deutsch und Tschechisch, spielen sollte, hat mich gereizt. Aber wenn mir die Geschichte nicht gefallen hätte, hätten diese Gründe nicht ausgereicht.
Was hat Ihnen gefallen?
Bei meiner Figur …
… der Sudetendeutschen Lisa, einer glühenden Nationalsozialistin …
… fand ich die Mischung so außergewöhnlich: die schrecklichen Sachen, die sie sagt, diese Ideologie, der sie mit einer solchen Begeisterung und Ungebrochenheit folgt. Auf der anderen Seite ist Lisa aber eine lustige, fröhliche, lockere Person. Jirí Menzel hat es geschafft, dass durch diesen scheinbaren Widerspruch der Schrecken der Figur noch größer wird. Hätte die Frohnatur überwogen, hätte ich den Film nicht vertreten können.
Interview: DAVID DENK
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