Schauspielerin Anna Thalbach: "Von der Tendenz bin ich Sozialistin"

Schauspielerin Anna Thalbach verließ im Alter von drei Jahren die DDR - und erzählt vom Einfluss ihrer ostdeutschen Wurzeln auf ihr heutiges Leben.

"Der Kapitalismus erzieht zur Maßlosigkeit": Anna Thalbach. Bild: dpa

Mehr zum Thema finden Sie am Samstag in einer Sonder-Ausgabe der Print-taz: "Wie viel Osten steckt in dir?"

Ich habe mich immer als Wossi gesehen, immer als Mischung. Als meine Eltern ausgebürgert wurden, war ich drei, als ich in die Schule kam, war ich schon ein Westkind. Den Ostalltag habe ich nie bewusst erlebt. Allerdings hatte ich über meine Eltern immer einen starken Bezug zur DDR und zum Sozialismus. Man darf ja nicht vergessen, dass meine Eltern nicht freiwillig gegangen sind. Sie wollten bleiben und die Gesellschaft kritisieren und reformieren, in die sie hineingeboren wurden.

Im Gegensatz zu meiner Mutter war der Kapitalismus für mich dann auch kein Schock, sondern einfach das System, in dem ich aufgewachsen bin. Heute sehe ich als links denkender Mensch dieses System wesentlich kritischer. Das perfekte Sinnbild für den Kapitalismus ist für mich "Monopoly": Das Spiel ist dann zu Ende, wenn einer alles hat und die anderen nichts mehr haben. Der Kapitalismus erzieht zur Maßlosigkeit, davon können wir jeden Tag in der Zeitung lesen. Und unter den Auswirkungen dieser Raffgier ächzt im Moment die ganze Welt.

Ein weiteres Problem finde ich, dass wir in einer Zeit leben, in der Präsenz mit Talent verwechselt wird, in der Verpackung alles ist. Ob das menschliche oder tote Verpackung ist - du packst es aus, und nichts ist drin. Ich bin dankbar, dass meine Eltern mir beigebracht haben, dass Oberflächlichkeit etwas ist, wogegen es anzukämpfen gilt. Dass alles, was tief geht, spannend ist.

In der Erziehung meiner Tochter habe ich versucht, diese Werte weiterzugeben, die mir von meinen Eltern vermittelt wurden, auf subtile Weise, durch unzählige Gespräche, durch Argumente. Als meine Tochter beispielsweise eine Baby-Born-Puppe haben wollte, bin ich mit ihr ins Kaufhaus gegangen und habe ihr gezeigt, wie die in echt aussieht, viel hässlicher als in der Fernsehwerbung. Da wollte Nellie sie dann auch gar nicht mehr haben. Da wollte sie erst mal gar nichts mehr.

Natürlich guckt meine Tochter auch Privatfernsehen, aber ich habe ihr von klein auf auch andere Angebote gemacht, besondere Bücher, besondere Filme. Stell zwei Fernseher in ein Zimmer und lass in dem einen die "Power Rangers" laufen und im anderen einen coolen russischen Märchenfilm - da sag ich dir gleich, wo die Kinder schnell sitzen: vor dem Märchenfilm. Kinder wählen instinktiv das stärkere Medium aus und lassen sich von der bunten, poppigen Aufmachung nicht über die Inhaltslosigkeit dieses Zeichentricktrashs hinwegtäuschen.

Dass mir ein Grundlevel an Bildung bei meiner Tochter wichtig ist, ist wohl noch so ein Stück Osten in mir. Kinder ganz beiläufig an Kultur heranzuführen finde ich fast schon russisch. In Russland gehen die Kleinen ganz selbstverständlich mit ins Theater oder lesen die russischen Klassiker wie Tolstoi und Dostojewski. Ich sag damit ja nicht, dass Kinder nicht auch Mickymaus lesen dürfen, aber das darf eben nicht alles sein.

Dieses Eingehen auf die Kinder und deren individuelle Förderung kommen mir im deutschen Schulsystem viel zu kurz. Auf Nellies Grundschule habe ich die Kinder bald besser gekannt als die Lehrerin. Die meisten Lehrer, die ich kennengelernt habe, wissen einfach nicht, welchen Ton man bei welchem Kind anschlagen muss, damit es sich für etwas interessiert. Sie sind wahnsinnig satt, gelangweilt, teilweise ein Fall für die Couch. Deswegen ist Nellie jetzt auf einem Internat. Dort sind die Lehrer motivierter, wohnen mit den Kindern unter einem Dach, lernen sie automatisch ganz anders kennen.

Ich finde es ungerecht, dass in Deutschland mehr denn je das Geld der Eltern über die Bildungschancen ihrer Kinder entscheidet. Aber von meinem Ideal der Gerechtigkeit und Gewaltfreiheit ist dieses Land sowieso weit entfernt. Wir leben in einer Wirtschaftsdiktatur - und das empfinde ich gegenüber der Antiwirtschaftsdiktatur DDR als furchtbar geringen Fortschritt. Auch wenn dieses System meinen Eltern viel Ärger gemacht hat: Von der Grundtendenz bin ich wohl Sozialistin.

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