Schauen feministischer Künstlerinnen: Da bleibt keine Wand mehr weiß
Grimassen, gebogene Körper, queere Ikonografien und der weibliche Körper. Gibt es in der jungen Kunst eine feministische Groteske?
In Dijon gibt es das kleine Museum für zeitgenössische Kunst namens „Le Consortium“. Versteckt in einer Seitenstraße liegt sein schlichter, heller Bau auf einem Gewerbehof der 1920er Jahre. Architekt Shigero Ban, der Pritzker-Preis-Träger, der auch den spektakulären Ableger des Centre Pompidou in Metz entworfen hat, stellte hier dem historischen Industriebau zwei schöne Würfel aus Glas und Beton vorn an.
Die transparente Front, eine freie Rampe im Foyer, dahinter sichtbar der Hof, zu dem sich die Ausstellungshalle mit einem riesigen Schiebetor öffnen lässt. So viel geschmackvoller Minimalismus. Man vermutet, dass sich nun auch die ausgestellte Kunst in diese kanonische Ästhetik des White Cube einfügen müsste.
Doch im Inneren von „Le Consortium“ bietet sich stattdessen ein groteskes Körperschauspiel. Runde Ärsche, ausladende Oberschenkel, lang gebogene Finger, kugelige Bäuche, die wohlausgeformten Silhouetten des weiblichen wie männlichen Geschlechts. Die US-amerikanische Künstlerin Tschabalala Self hat hier gerade ihre Einzelausstellung „Make Room“ aufgebaut. Und den im Titel eingeforderten Platz holen sich ihre Plastiken und großformatigen Leinwände.
Auf letzteren collagiert Tschabalala Self mit zeichnerischen Konturen, flächigem Farbauftrag und aufgenähten Textilien lebensgroße menschliche Figuren, zumeist Frauen, aber auch Männer, die, nackt oder angekleidet, unmöglichen Verrenkungen und frivolen Posen nachgehen.
Tschabalala Self: „Make Room“, Le Consortium Dijon, bis 22. Januar
Leila Hekmat: „Female Remedy“, Haus am Waldsee Berlin, bis 8. Januar
„Fun Feminism“, Kunstmuseum Basel, bis 19. März
Gleich zu Beginn der Ausstellung, auf einer Sichtachse zur kleinen Zufahrtsstraße, hängt ein weiblicher Akt. In die Knie gebeugt und die Beine gespreizt wie in der Gebärhaltung einer antiken Gottheit zeigt er im Zentrum des Bildes, auf Blickhöhe, eine mit schwarzem Baumwollgarn zackig konturierte Vulva. Baumwolle – ein in den USA und ihrer Geschichte der Sklaverei bedeutungsträchtiges Material.
Noch ließ Tschabalala Self ihre Bilder an weiße Wände installieren, doch vereinzeltes Mobiliar aus geschnörkeltem Stahl und mit bunten Sitzkissen, das die junge Künstlerin – sie ist Jahrgang 1990 und in den USA derzeit überaus erfolgreich – zunächst 2021 für ein Bühnenstück des New Yorker Festivals Performa begann, kündigt an, dass ihre nächsten Ausstellungen gewiss auf den ganzen Raum übergehen und selbst zu Bühnen werden könnten. Womöglich wird da keine Wand mehr weiß bleiben.
Die queere Sister trägt Netzstrumpfhosen
Eine derart totale Installation breitet nämlich Leila Hekmat derzeit im Haus am Waldsee aus. Die zwei Etagen des Berliner Kunsthauses wandelte die 1981 in Los Angeles Geborene in ein beklemmendes Krankenhausszenario um. Das „Hospital Hekmat“ ist ausgestattet mit Betten, einem Operationssaal, einer Kapelle und Behandlungsräumen. Verhangen sind sie mit Stoffen, auf denen scheinbar historische Aufnahmen von Frauen und Männern zu hybriden, in Gegenwart und Geschichte gleichsam stehenden Figuren fusionieren.
Ihr Krankenhaus ist mit seltsamen Charakteren bevölkert. Alles Frauen, Schaufensterpuppen in stereotypen Schaufensterpuppenkörpern. Hekmat hat ihnen allen wilde Grimassen verpasst. Schiefe Zähne, übergroße Augen, schräge Nasen – unheimlich. Insbesondere aber sind sie mit Zeichen und Codes aus Religion, Pop- und Mediengeschichte versehen, die sich zu einer schrägen Ikonografie der Frau zusammenfügen.
In Hekmats Figurenkabinett taucht eine „Maria Popper“ auf, heilige Muttergottes, Snobistin und Gouvernante zugleich. Es gibt die „Krankensister“ mit Kittel und Haube. Man fühlt sich bei ihr an die „weiße Krankenschwester“ in der Freikorpsliteratur erinnert, jenes sexualitätslose Staffageobjekt, das Klaus Theweleit in den „Männerphantasien“ ausmachte.
Doch die queere Sister im Haus am Waldsee trägt dazu Netzstrumpfhosen. Eine Fülle an Zeichen und Motiven aus dem gesellschaftlichen Bildgedächtnis holt Leila Hekmat hervor. Wie auch Tschabalala Self in „Le Consortium“, obgleich sich beide unterschiedlicher künstlerischer Mittel bedienen, schafft Hekmat in dieser Ausstellung ein groteskes Abbild des weiblichen Körpers.
Die Groteske lässt die Gesellschaft ihre Grimassen ziehen
„The Female Grotesque“ nannte die US-amerikanische Kunstwissenschaftlerin Mary J. Russo ihre prominente Studie, in der sie 1995 aufzeigte, wie der weibliche Körper durch seine überzogene Darstellung geschlechtliche Normen überschreiten, sich letztlich von ihnen emanzipieren kann. Mit dem Risiko, das wohlgefällige Schöne zu verlassen.
Die feministische Kunst der 1970er bis 1990er Jahre bediente sich häufig einer Ästhetik des Grotesken. In einer hässlichen Form, wie etwa bei Sarah Lucas, deren berühmte Bunnies mit hängenden Brüsten und gebogenen Beinen den greisen, reproduktionsunfähigen weiblichen Körper darstellen. Oder aber in der splendiden Form wie in den Filmen, Kostümen und Bildern der großen Ulrike Ottinger, wenn sie zum Beispiel 1979 im Experimentalfilm „Bildnis einer Trinkerin“ ihre Muse Tabea Blumenschein auf allen Ebenen ins Abseitige abrutschen lässt.
Die Überzeichnung und das ästhetisch und sozial Grenzwertige schaffen in dieser Kunst das Groteske. Was zu sehen ist, ist letztlich plakativ, wie der auf runde Gesichtszüge, dicke Pobacken und verrenkte Beine reduzierte Körper einer Tschabalala Self, häufig ihr eigener schwarzer Körper.
Dieses Plakative sei die „Grimasse der Gesellschaft“, um mit Friedrich Dürrenmatt einen grotesken Erzähler der Literatur und des Theaters zu zitieren. Und es scheint, als würden derzeit viele junge Künstler:innen zur Groteske zurückkehren, um auf ihren Bildwerken diese Grimassen abzuzeichnen. Dabei wird der Körper zu einer Bühne, mit den Mitteln der Bühne, überschminkt und überzogen.
Im Kunstmuseum Basel läuft die Ausstellung „Fun Feminism“. Neben der Komik einer Sylvie Fleurie und dem Pop einer Kirsi Mikkola ist dort auch das pastellfarbene, wunderbare, ikonografische Potpourri von Pauline Curnier Jardin zu sehen. Sie zeigt dort mit „Q’un Sang Impur“ die lose Neuverfilmung von Jean Genets „Un Chant d’Amour“ (1950).
Curnier Jardin ersetzt aber Genets glänzende Männerkörper durch Frauen nach der Menopause. Im Schutz der bröckelnden Wände ihrer Gefängniszellen zelebrieren sie ihre neu gewonnene erotische Kraft. Und im Moment des Begehrens bluten sie wieder. Auch die 1980 geborene Pauline Curnier Jardin bettet ihre Filme häufig in theatrale Installationen. Als sie „Un Chant d’Amour“ 2019 in Berlin zeigte, war er von Bäumen aus Pappmaché umwuchert, ein visuelles Geflecht um Begehren und Reproduktion.
Ebenfalls in der Baseler Ausstellung zu sehen sind Melanie Jame Wolfs zwei anachronistische Komikerpersönlichkeiten Stand-up Ron und Pierrot der Clown. Die beiden schon an sich grotesken Figuren, von der Künstlerin selbst dargestellt, belustigen in der ewigen Schleife der Zwei-Kanal-Videoarbeit ein Publikum. Man hört es zwar lachen, doch die Zuschauerreihen des Theatersaals sind leer. Der überzogene Körper, wie er von einem selbst und wie er von anderen gesehen wird, ist hier nun nicht mehr gesellschaftlich, er hat sich schon längst in die Psyche gelegt.
Die Recherchen in Dijon wurden von der Galerie Eva Presenhuber unterstützt.
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