Schau über Polen in Berlin: Wir, Europäer
Die Ausstellung "Wir Berliner" zeichnet die Geschichte der Polen in Berlin nach und zeigt: Die deutsche Hauptstadt war lange ein politisches und kulturelles Zentrum der Polen in Europa.
Der Dichter Leszek Szaruga, ein Charmeur, der gerne Rotwein trinkt und die Frauen nicht verachtet, hat Berlin eine Liebeserklärung geschrieben. "Diese Stadt besitzt tatsächlich eine eigene, unvergleichliche Aura, eine Atmosphäre, die dazu geführt hat, dass sie - wichtig für einen Polen - als eine von wenigen in Deutschland nicht zu einer ,Stadt Hitlers' geworden ist. Man kann hier eine Stimmung der Freiheit, des Abenteurertums, einer gewissen Lockerung der Formen finden."
Die Ausstellung über das polnische Berlin im Ephraim-Palais ist noch bis zum 14. Juni zu sehen.
Zur Ausstellung findet auch ein umfangreiches Begleitprogramm statt. www.wirberliner.de
Empfehlenswert ist der Ausstellungskatalog, der bei Koehler & Amelang erschienen ist und 29,90 Euro kostet. TAZ
Szaruga, 1946 in Krakau geboren, kam in den 70er-Jahren mit seinen Eltern nach Westberlin. Der Vater hatte als polnischer Soldat mit der Roten Armee die Stadt erobert, in der er nun - als Übersetzer der Gedichte von Gottfried Benn und Thomas Manns "Doctor Faustus" - politisches Asyl fand. Szarugas Mutter, gebürtige Danzigerin, verliebte sich in die Stadt aus einem anderen Grund. Berlin erinnerte sie "an die Freie Stadt Danzig vor dem Krieg (…), die für sie früher nie eine polnische oder deutsche Stadt, sondern eine Hansestadt gewesen war". Leszek Szaruga dagegen fand eine Stadt vor, die ihn vor allem wegen ihrer Offenheit und Multikulturalität faszinierte. Sowohl Szaruga als auch seine Eltern sind damit "Berlinczycy", polnische Berliner, die vor allem eines eint: der Ort, an den es sie verschlagen hat.
Dass das Zentrum für historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften den polnischen Berlinern eine Ausstellung widmet, ist nichts Ungewöhnliches. Überraschend ist der Bogen, den "My, berlinczycy" - "Wir Berliner" schlägt. Das Adelsgeschlecht der Radziwill gehört ebenso dazu wie der polnische Freiheitskämpfer Ludwik Mieroslawski, dessen Befreiung aus dem Moabiter Knast im Revolutionsjahr 1848 auf das Konto der deutschen Polenbegeisterung gehört.
Wir, Berliner, das sind auch die Polen, die aus dem Potsdamer Platz noch vor dem Fall der Mauer einen Polenmarkt gemacht haben, sowie die politischen Flüchtlinge, die in der Frontstadt gegen den Kommunismus Aufnahme fanden. Selbst die Polen in Ostberlin, lange Zeit eine gepflegte und gehegte Lücke in der polnischen Migrationsforschung, wird ein wenig gestopft. So viel Anspruch ist selten und so viel potenzielles Scheitern damit auch.
Aber trotz einer Ausstellungsarchitektur, die wegen ihrer formalen Strenge eher abschreckt als einlädt, scheitert die Schau nicht. Das liegt vor allem daran, dass nicht das 20. Jahrhundert ins Zentrum der berlinisch-polnischen Beziehungsgeschichte gerückt wird, sondern das lange 19. Jahrhundert, das mit den Teilungen Polens 1772, 1792 und 1795 beginnt und mit der Wiedergeburt des polnischen Staates 1918 endet. Hinzu kommt: Statt auf die sattsam bekannten Ankunftsgeschichten, die vor allem eine Botschaft bereit halten - schaut her, wir sind schon lange hier und wir haben uns integriert -, konzentriert sich die Ausstellung auch auf die irritierenden Widersprüche in der Geschichte des polnischen Berlin.
Ein Beispiel dafür ist Ludwik Mieroslawski, der noch kurz nach seiner gefeierten Befreiung aus Moabit verkündet hatte: "Die polnische und die deutsche Fahne werden im Einvernehmen nebeneinander flattern." Doch bald schon enttäuschte der polnische Freiheitskämpfer die deutschen Märzrevolutionäre. So ging er kurz nach seiner Befreiung nach Posen, um den dortigen Aufstand gegen die preußische Besatzungsmacht anzuführen. Die Wiedererrichtung eines polnischen Nationalstaates nach den Jahren der Teilung ist ihm wichtiger als der europäische Völkerfrühling.
Keine Vorurteile
Die Reaktion der deutschen Demokraten war verbittert: "Die polenfreundliche Stimmung unter den deutschen Demokraten", schrieb einmal der Slawist und Buchautor Thomas Urban, "war umgeschlagen." Polen galt in Deutschland wieder "als Land des Landadels, der egoistisch um seine Privilegien kämpfte und daher an einer grundsätzlichen Veränderung der Verhältnisse nicht interessiert war". Mieroslawski selbst nahm auch kein Blatt vor den Mund. Im Pariser Exil wandte er sich von den Deutschen mit den Worten ab: "Berlin, du Sitz der Verräter, die uns aus dem Hinterhalt erdolchten."
Eine Schlüsselfigur für das Verständnis zwischen Polen und Berlinern ist Mieroslawski, weil er an der Schwelle zweier Identitätskonzepte steht, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das eine Konzept ist noch bestimmt von der polnischen Aristokratie, die Ende des 18. Jahrhunderts Berlin als einen ihrer Satelliten erkor - schließlich galt es die Pfründen, die sich zu Zeiten der polnischen Adelsrepublik angesammelt hatten, zu verteidigen. Der preußische Königshof wiederum freute sich, mit der Heirat des polnischen Fürsten Antoni Radziwill mit Luise Friederike Dorothea, einer Nichte Friedrichs des Großen, eine Quasi-Legitimation der eigenen Teilungspolitik bekommen zu haben. Was man heute ethnische Vorurteile nennen würde, gab es damals nicht. Der polnische Adel machte Karriere am preußischen Hof - und die Berliner nahmen Anteil am Schicksal der Polen, die im Novemberaufstand 1831 wieder einmal umsonst gegen die Fremdherrschaft aufstanden. Die Befreiung Mieroslawskis, der im "Berliner Polenprozess" 1847 zum Tode verurteilt worden war, ist also Teil einer vornationalen, europäischen Öffentlichkeit gewesen, zu der die Welt des Adels ebenso gehörte wie die des liberalen Bürgertums.
Ganz anders nach den Berliner Märzgeschehnissen. Nun spielte es plötzlich eine Rolle, ob man Deutscher war oder Pole. Diese Wendung zum "gesunden nationalen Egoismus" (Wilhelm Jordan in der Frankfurter Paulskirche 1848) schuf eine Konfliktstellung, die für Berlin und die Polen nicht folgenlos blieb, wie Robert Traba bemerkt: "Das Hauptstadt- und das Grenzberlin wurden (…) zu einem Ort, wo sich nicht nur europäische Politik abspielte, sondern auch die staatlichen Strategien zur Assimilation der polnischsprachigen Einwohner bestimmt wurden." Kein Wunder, dass auch Otto von Bismarck, der die Assimilierung schließlich zum antipolnischen Kulturkampf und zur Germanisierungspolitik des zu einem Drittel von Polen bewohnten preußischen Staates weiter steigerte, breiten Raum einnimmt: Noch während der Märzereignisse notierte der spätere Reichskanzler: "Die Berliner haben mit ihrem Blute die Polen befreit. (…) So hat deutscher Enthusiasmus wieder einmal zu eigenem Schaden fremde Kastanien aus dem Feuer geholt."
Zu den faszinierenden Momenten der Ausstellung gehören jene Exponate, die zeigen, wie sich im Fahrwasser des anschwellenden Nationalismus eine deutsch-polnische Normalität in Berlin entwickelte, die nahezu alle gesellschaftlichen Bereich erfasste. Polnische Arbeiter bauten den Landwehrkanal, polnische Wissenschaftler lehrten an der Humboldt-Universität, in den 20er-Jahren wurde Pola Negri zur gefeierten Schauspielerin. Mehr noch als Paris oder Sankt Petersburg war die deutsche Hauptstadt ein kulturelles Zentrum der Polen in Europa.
Diese Annäherung kann aus heutiger Sicht aber auch irritierend wirken. In der Ausstellung findet sich auch ein Foto der Trauerfeier anlässlich des Todes des polnischen Marschalls Józef Pilsudski in der Hedwigs-Kathedrale am 18. Mai 1935. Zu den Trauergästen gehörten Adolf Hitler, Josef Goebbels und Hans Frank, der vier Jahre später Generalgouverneur im besetzten Polen wurde. Zuvor aber sollte die polnische Kultur eine bis dahin nie gekannte Aufmerksamkeit im öffentlichen Leben Berlins bekommen. Auch die Gründung des späteren polnischen Kulturinstituts fällt in diese Zeit.
Zwischen Völkerfrühling und Nationalismus, zwischen polnischen Preußen und preußischen Germanisierern, zwischen Avantgarde und Ressentiment: Auch wenn sich die Ausstellung "Wir Berliner" der longe durée der berlinisch-polnischen Beziehungsgeschichte widmet, bedeutet das nicht, dass die Jahre von Krieg und Vernichtung relativiert werden. Gleichzeitig ermöglicht der weite Bogen auch den Blick auf das "vorher" und das "nachher".
Zum Nachher gehört vor allem jenes Westberlin, in das der Dichter und Charmeur Leszek Szaruga in den 70er-Jahren kam. Urplötzlich war der Westen der Stadt, den Witold Gombrowicz, der große Dichter, noch in den 60ern fasziniert und abgestoßen als "Glitzerding" beschrieben hatte, zu einem Ort der polnischen Intelligenz geworden und nach der Verhängung des Kriegsrechts 1981 auch zur polnischen Exilstadt. Es ist diese Nachkriegsgeschichte Westberlins, die der "Stadt hinter der Mauer" noch heute einen ganz besonderen Klang in Polen verleiht. Und die Offenheit und Multikulturalität, die Lezsek Szaruga von Anbeginn fasziniert hatten, lockt heute nicht nur Arbeitsmigranten, sondern auch Schwule, Lesben, Künstler und Studenten aus Polen an die Spree. Sie alle haben aus Berlin auch einen Ort gemacht, in dem ein neues Kapitel der Beziehungsgeschichte von Polski Berlin aufgeschlagen wird: der produktive kulturelle Dialog. Die Ausstellung "Wir Berliner" trägt dazu wesentlich bei.
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