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Archiv-Artikel

Schatten über Ruanda

Zum zehnten Jahrestag des Völkermords an einer Million Menschen haben Revisionisten Hochkonjunktur – auch in der Bundesrepublik. Es mangelt an Respekt vor der Geschichte

Der Genozid-Beginn ist breit belegt – Zweifel scheinen unmöglich. Die Revisionisten stört das nicht

Am 6. April 1994, kurz vor halb neun Uhr abends, wurde über der ruandischen Hauptstadt Kigali ein Flugzeug abgeschossen. An Bord befand sich Ruandas Präsident Juvenal Habyarimana. Die Maschine befand sich im Landeanflug, als zwei Boden-Luft-Raketen sie trafen. Kurz zuvor war auf der Landebahn des Flughafens das Licht ausgeschaltet worden, was dem Piloten die Orientierung raubte; die Lichter gingen nach dem Absturz des Flugzeuges wieder an. Der Flughafen war zuvor von Ruandas Präsidialgarde abgeriegelt worden; die Raketen stiegen von einem nahen Hügel auf, auch er unter Kontrolle der Garde.

Das Attentat geschah in einem kritischen Moment. In Ruanda standen sich die Hutu-dominierte Armee und eine von Exiltutsi geführte Rebellenbewegung als Bürgerkriegsparteien gegenüber, mehr schlecht als recht voneinander getrennt durch UN-Soldaten. 1993 hatten beide Seiten Frieden geschlossen und eine Allparteienregierung vereinbart, aber deren Bildung verzögerte sich ständig. Währenddessen organisierten Hutu-Extremisten Milizen, predigten die Auslöschung der Tutsi und schürten politische Gewalt. Bei einem Gipfeltreffen in Tansania am 6. April willigte Habyarimana schließlich ein, die Allparteienregierung einzusetzen. Auf dem Rückflug wurde er umgebracht.

Noch bevor sich die Nachricht vom Attentat allgemein verbreitet hatte, errichteten Sicherheitskräfte und Milizen in Kigali Straßensperren. Hohe Militärführer übernahmen die Macht. Soldaten wurden angewiesen, jeden Tutsi zu töten. Der Völkermord konnte beginnen.

Der Ablauf der Ereignisse, bezeugt von zahlreichen Augenzeugen, ist so klar, dass kein Zweifel möglich scheint, aber kaum ein Ereignis der jüngeren Weltgeschichte wird so systematisch bis heute als ungeklärt dargestellt. Jahrelang präsentierten Medien den Flugzeugabschuss, immerhin Startschuss für einen Genozid, als „mysteriösen Flugzeugabsturz“, im Einklang mit der ersten damaligen offiziellen Version. Unabhängige Untersuchungen wurden immer blockiert, auch innerhalb der UNO. Und pünktlich zum 10. Jahrestag des Völkermords taucht erneut eine alte These der Mörder auf: Für den Flugzeugabschuss sei in Wirklichkeit Ruandas damalige Tutsi-Rebellenbewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) verantwortlich, geführt von Ruandas heutigem Präsidenten Paul Kagame.

Vor allem von Frankreich, dem engsten Verbündeten der Hutu-Extremisten vor zehn Jahren, kommt dieser Vorwurf, jüngst gestützt durch „Ermittlungen“ des französischen Untersuchungsrichters Jean-Louis Bruguière. Der Franzose hat allerdings nie in Ruanda ermittelt oder Beschuldigte gesprochen. Er hat keine Beweise vorgelegt, sondern lediglich Aussagen von ehemaligen Weggefährten Kagames, die sich mit ihm überworfen haben und selbst nicht am Tatort waren.

In Ermangelung von Beweisen verweisen die Anhänger der Kagame-Täterthese auf den Umstand, dass die UNO mehrmals Ermittler zurückgepfiffen und deren Erkenntnisse unterdrückt haben. Weiter wird behauptet, die USA hätten 1994 als Pate der Tutsi-Rebellen die Beseitigung der damaligen Hutu-Regierung und die militärische Machtergreifung der RPF eingefädelt – unter billigender Inkaufnahme des Völkermords.

Das ist eine zynische und verlogene These, strukturell identisch mit der Theorie, die Juden hätten den Holocaust mitgeplant oder zumindest bewusst geschehen lassen, um die Gründung des Staates Israel zu legitimieren. Was im Falle der Vernichtung der europäischen Juden allgemein als rechtsextremes Gedankengut zurückgewiesen wird, gilt im Falle Ruanda als bedenkenswerte Hypothese.

Zum Glück gibt es Fakten, die stärker sind als Ideologien. Extremistische Medien in Ruanda hatten Habyarimanas Tod zuvor schon angekündigt. Als UN- Kommandant Romeo Dallaire während des Genozids zum Hetzrundfunk „Mille Collines“ eingeladen wurde und fragte, warum Habyarimana sterben musste, bekam er zur Antwort: Er war Pro-Tutsi. Die Präsidialgarde, unter deren Ägide der Präsident getötet wurde, stand damals unter französischer Ausbildung; nach dem Attentat sperrte sie den Einschlagort des Flugzeuges ab und ließ nur Franzosen hinein, die dann hinterher drängten, die UNO aus den Untersuchungen herauszuhalten.

Um all das scheren sich die Ruanda-Revisionisten nicht, aber ihre Argumente sind längst über ihre eigenen kruden Anfänge hinaus, als man noch zu leugnen versuchte, dass es überhaupt einen Völkermord gab. Es ist nun einmal nicht zu bestreiten, dass bewaffnete Hutu-Formationen in Ruanda 1994 systematisch und nach jahrelanger Vorbereitung mindestens 800.000 Menschen umbrachten, zumeist Tutsi. Die Revisionisten sind heute vorsichtiger. So deuten sie an, die Herrschaft von Tutsi in Ruanda sei illegitim, da es nun einmal mehr Hutu als Tutsi gebe. Oder: Die Tutsi hätten an der Macht genauso schlimm, wenn nicht schlimmer gewütet. Und wenn das nicht überzeugt, kommt der Hinweis, alle hätten gelitten und man solle die alten Geschichten vergessen.

Immer wieder werden Vertreter dieser Thesen gerade in Deutschland zu Ruanda-Diskussionsveranstaltungen eingeladen. Hier werden sie möglichst Tutsi-Überlebenden gegenübergesetzt, damit diese mit ihnen streiten und die unbefangenen Zuhörer lernen, dass es eben unterschiedliche Meinungen zum Genozid gibt. Man stelle sich vor, bei Diskussionsrunden zum Holocaust müssten Auschwitz-Überlebende mit alten Nazis über Gaskammern reden. Aber bei Ruanda hört der Respekt vor der Geschichte auf.

Die revisionistische Argumentation ist zutiefst rassistisch. Sie basiert auf der altenkolonialen Ideologie

Die revisionistische Argumentation ist zutiefst rassistisch. Sie basiert auf der alten kolonialen Ideologie, wonach Afrikaner nicht in der Lage zur Staatsbildung seien und daher das vor hundert Jahren von europäischen Forschern in Ruanda vorgefundene Königreich, dessen Mächtige als Tutsi tituliert wurden, ein Import von außerhalb sein müsse. Die Tutsi mussten also Einwanderer sein, als ursprüngliche Ruander blieben die Hutu übrig. Das ist zwar längst wissenschaftlich widerlegt, aber es war die Lehre der belgischen Kolonialherren ebenso wie der ruandischen Machthaber nach der Unabhängigkeit 1962 – und es ist die ideologische Grundlage des Völkermords. Dieser Revisionismus lebt bis heute. Seine politische Dimension besteht darin, den Tutsi-Präsidenten Kagame zum Topterroristen zu stilisieren – Drahtzieher des Genozids und darüber hinaus sämtlicher Kriegsgeschehen im Kongo. Überhaupt sei er letztlich nur eine Marionette der USA.

Wer solch einen Unsinn verbreitet, ist mitverantwortlich dafür, dass die Ideologen des Genozids sich bis heute uneinsichtig zeigen. Zudem trägt er dazu bei, dass sie in die Offensive gehen können – wenn der Regierung Kagame die sozialen Probleme Ruandas über den Kopf wachsen und die nächste politische Explosion vor der Tür steht. Es ist ein mörderisches Spiel mit der Zukunft eines Volkes.

DOMINIC JOHNSON