: Scharping und Kohl im Grundsatz einig
■ Bei der Wehrkundetagung in München formulierte SPD-Chef Scharping Kontinuität in der Außenpolitik / Nato über Rußland weiter stark verunsichert / Kohl und Rühe streiten über Sollstärke der Bundeswehr
München (taz/dpa/AFP/AP) – In der Außenpolitik „gibt es keine wirklich ernsthaften Differenzen“ zwischen Regierung und Opposition. Mit dieser für ein Wahlkampfjahr bemerkenswerten Feststellung versuchte SPD-Chef Rudolf Scharping insbesondere US- Vorbehalte gegen einen möglichen SPD-Kanzler auszuräumen. Im Beisein des neuen US-Verteidigungsministers Perry und etlicher Senatoren plädierte er bei der alljährlich stattfindenden Wehrkundetagung in München für ein stärkeres sicherheitspolitisches Engagement im Osten und eine Stärkung der UNO. Die SPD befürworte eine ständige Mitgliedschaft Deutschlands im UN-Sicherheitsrat und hoffe, daß diese in einem gemeinsamen Sitz für die Europäische Union aufgehe.
Der erzkonservative US-Senator William Cohen begrüßte die Rede Scharpings und betonte, damit rücke der SPD-Chef von Äußerungen des früheren Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine ab. Die SPD übernehme Positionen der früheren britischen Premierministerin Margaret Thatcher und des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan. Cohen verwies darauf, daß der US-Senat kürzlich die Bundesrepublik aufgefordert habe, sich in vollem Umfang an Militäreinsätzen der UNO zu beteiligen.
Auch Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) forderte einen Konsens der großen Parteien über die Rolle der Streitkräfte. Zwischen Deutschland und seinen Verbündeten dürfe es mit Blick auf die verfassungsmäßigen Grundlagen für Auslandseinsätze der Streitkräfte keine Unterschiede geben. Rühe war denn auch der einzige, der Scharpings Äußerungen kritisierte und als „zu vage“ befand. Als Kohl es als unabdingbar bezeichnete, daß sich die Bundeswehr künftig notfalls auch an internationalen Kampfeinsätzen zur gewaltsamen Beendigung von Konflikten beteilige, nannte er die SPD, die sich einer dafür notwendigen Grundgesetzänderung verweigert, nicht einmal beim Namen. Das übernahm William Cohen, er sprach Scharping in der Diskussion direkt an und meinte, Deutschland könne seine Hoffnungen auf einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat begraben, wenn es nicht zur vollen Übernahme auch der Pflichten der UNO-Mitgliedschaft bereit sei und die Beteiligung an Militäraktionen verweigere. Scharping wich einer Antwort auf diese klare Frage aus, wiederholte allerdings die Beschlußlage seiner Partei – ein eindeutiges Nein zu Kampfeinsätzen – auch nicht.
Im Zentrum der vor 31 Jahren als Wehrkundetagung ins Leben gerufenen Konferenz stand die allgemeine Verunsicherung im westlichen Verteidigungsbündnis über eine angemessene Reaktion auf die Veränderungen im Osten. Da hatte auch der gerade erst ernannte neue amerikanische Verteidigungsminister William Perry keine neuen Perspektiven anzubieten.
Die vorläufige Antwort der Nato, den in das Bündnis drängenden Staaten des ehemaligen Ostblocks mit Rücksicht auf Rußland statt einer Mitgliedschaft die „Partnerschaft für den Frieden“ anzubieten, wurde aber allgemein akzeptiert. Die einzig echte Kontroverse wurde bei dem Treffen zwischen Kohl und seinem Verteidigungsminister ausgetragen. Während der Kanzler versicherte, die Bundeswehr bleibe bei ihrer Sollstärke von 370.000 Mann, konnte sich Rühe das Lachen kaum noch verkneifen. Statt dessen, erklärte er später, solle die Bundeswehr so umstrukturiert werden, daß sie auch mit weniger als 345.000 Mann ihre Aufgaben wahrnehmen könne.
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