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■ Scharping bei den GenossenEin Trauerspiel

Mit ihrem Bundesvorsitzenden ergeht es der Berliner SPD wie der Trauergemeinde, die erst bei der Grabesrede merkt, daß sie den falschen Pfarrer bestellt hat. Scharping also gestern bei den angeschlagenen Genossen: kein Wort des Trostes. Kein „Jetzt erst recht“, kein „Blut, Schweiß und Tränen“. Der große Vorsitzende kam, sah und – schwieg. Nur noch mit sich selbst beschäftigt, scheint ihm die Partei außerhalb von Bonn Wurscht zu sein. Die Berliner SPD bei 26 Prozent? Na ja, sagt der Vorsitzende und beugt sich zum Mikrofon, als sei es die erste Lockerungsübung an diesem Tag: Gute Umfragen lösten beim ihm halt keine Euphorie, schlechte eben auch keine Depressionen aus. Scharping, wie ihn kein Medium überzeichnen könnte. Leidenschaftslos bis zur Verzweiflung.

Nicht ein Wort zuviel, so als ob jetzt im Scherbenhaufen noch irgendein Schaden anzurichten wäre. Ob ihm die SPD-Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer mit ihrem Nein zur Diätenregelung in den Rücken gefallen sei? „Von mir“, sagt Scharping, „werden Sie im Archiv nicht ein Zitat, eine negative Bemerkung über ein Mitglied meiner Partei finden.“ Weil es Scharping sagt, muß man solche Floskeln wohl als Kritik verstehen. Nur einmal, da verläßt den Vorsitzenden die mühsame eintrainierte Contenance, wird die Stimme scharf und drohend. Diejenigen „klugen Beiträge“ werde er am 22. Oktober nicht vergessen, die „den Wahlkampf beflügelt oder behindert haben“. Wenn das dann mal nicht zu spät ist. Denn womöglich fällt Scharpings Ende mit der Niederlage seiner Berliner Genossen zusammen. „Manchmal stellen Sie sich Fragen, die ich mir überhaupt nicht stelle.“ Eben. So wie die hiesige SPD. Augen zu und durch bis unter die 30-Prozent-Marke. Severin Weiland

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