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Archiv-Artikel

Schamgrenzen fallen

Betr.: „Kein Freibrief für Airbus“, taz nord v. 12. 8.

Es ist ja nicht so, dass es einen wundert, wenn Industrie und Politik über die Justiz wettern. Wenn sich aber das Hamburger OVG erlaubt, das Grundeigentum Neuenfelder BewohnerInnen vorläufig für gewichtiger zu erachten als die Verlängerung der Airbus-Werkspiste für einige Auslieferungsflüge eines neuen Riesen-A380 und die Grundrechte der Betroffenen nicht eilfertig dem Airbus-internen Konzernwettbewerb opfern will, scheinen die Nerven blank zu liegen und die letzten Schamgrenzen zu fallen.

Wie anders ist es zu erklären, wenn der Vorsitzende des Industrieverbandes Marnette mit der Feststellung zitiert wird, dass die Richter damit „nicht nur die Industriepolitik des Senats, sondern auch den Industriestandort Deutschland in Frage“ stellen und „die herausragende Bedeutung der Airbus-Erweiterung“ nicht anerkennen? Hatte sich das OVG schon so sehr zum Büttel wirtschaftlicher Interessen gemacht, dass solche Nebensächlichkeiten wie die in unserer Verfassung verankerte Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz nicht mehr zählen?

Die Gerichte sind mit gutem Grund von Verfassungs wegen unabhängig „von ihrer Obrigkeit“ (eine solche sollte es daher noch nicht einmal in Form eines Justizsenats oder -ministeriums geben! ); speziell die Verwaltungsgerichte sind gerade nicht dazu da, die Politik und ihre verwaltungsmäßige Umsetzung abzusegnen, sondern sie unabhängig zu kontrollieren. Wenn die RichterInnen in Hamburg von diesem Recht (welches zugleich Verpflichtung ist) Gebrauch machen, sollte dies weder „beneidenswert“ noch erwähnenswert sein, sondern selbstverständlich. Christine Nordmann, Schuby (Sprecherrat der Neuen Richtervereinigung in Schl.-Holstein)