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Satanische Verse

■ Was wird denn nun gespielt? "Länderkampf" oder ein ganz schlichter Davis-Cup zwischen Deutschland und Österreich?

Berlin/Graz (taz) – Man könnte schreiben, Michael Stich und Patrik Kühnen haben das deutsche Davis-Cup-Team in Führung gebracht. Genauso gut ließe sich behaupten, Thomas Muster und Alexander Antonitsch konnten nicht verhindern, daß Österreich ins Hintertreffen geriet. Es kommt – wie immer – auf die Perspektive an.

Die Kierkegaardsche Relativitätstheorie ließe sich auch bestens anwenden, was die Bewertung der Atmosphäre in der ausverkauften Schwarzl-Halle in Unterpremstätten anlangt. „Stich schlug 11.000 Brüller“, titelte Bild in ihrer Samstagsausgabe, woraufhin das österreichische Blatt Neue Zeit returnierte, in den deutschen Medien seien „Teufelsreporter“ am Werke. Die Deutsche Presse- Agentur (dpa) spinnt die Tennis- Ausgabe dieser „Satanischen Verse“ fort, spricht vom Grazer „Hexenkessel“ und zitiert den Pressesprecher des Deutschen Tennis-Bundes in seiner ganzen Wut über das Verbündnis jener gemeinen Wesen aus dem Reich des Hades – Jens-Peter Hecht: „Diese Unfairneß hatte Dimensionen wie in Brasilien.“

Zur Erinnerung, damals verlor das deutsche Team hitze- und nervengeschädigt gegen ein wahrlich fanatisiertes Publikum. Der Wiener Kurier, um Superlative nicht verlegen, schmäht flugs das rot- weiß-rote Tennis-Alpenvölkchen zum „schlimmsten Davis-Cup-Publikum“ und legt Herrn Stich in den schmal gwordenen Mund, es sei „schlimmer als das in Brasilien“. Nur zu dumm, daß die Nummer eins anno 1991 zwar die Wimbledon-Trophäe gewonnen hatte, aber im DTB-Team sein großes Vorbild seinerzeit noch die erste Geige spielte. Michael Stich, der in der samstäglichen Pressekonferenz zu gerne diesen Schreiberling des Wiener Kurier zur Rede gestellt hatte, war sichtlich empört ob der Geister, die er gerufen haben soll. Zum Ausgleich verteilte der strebsame Schlägerschwinger, der sich auf dem Platz wie ein unartiges Kind nur von Mama-Gemahlin Jessica zur Räson mahnen ließ, Komplimente an die österreichischen Spieler: „Sie haben die Atmosphäre nicht zu ihren Gunsten ausgenutzt“, sondern hätten ihrerseits die Fans auf den Rängen beschwichtigt. Thomas Muster, Austrias Bester, wiederum stichelte: „Die Deutschen sind doch selbst schuld“, hätten sie sich weniger aufgeregt, hätte es auch die Halle getan.

Es ist wie beim Augenarzt. Manchmal läßt sich schlecht sagen, ob's „so oder so besser ist“. Es mag sein, daß in Graz die Schwarzl- Halle gar mächtig „tobte und schrie“ (Sportinformationsdienst). Indes, im Vorjahr mußte Finalgegner Australien auch gegen frenetische Klatscher und Stampfer aufschlagen. Stich hatte die Jubler in seinem Rücken und beklagte sich damals dennoch über „Stadion- Atmosphäre“ über dem geheiligten Tennissand, und ach wie schwierig es doch sei, sich beim melodiösen Klang von Fußball- Tröten zu konzentrieren.

Aufschlag Kühnen, die 11.000 verstummen zur Tennisknigge-üblichen Kirchenandachts-Stille, der Ball droppt mehrmals aus Kühnens Hand, er hebt den Arm zum Service an, plötzlich zischt es aus tausend Mündern „pschscht“ – „Länderkampf“ (dpa) pur? Fair, unfair. Psychokrieg?

In jedem Fall, gaaanz schwierig. Bundespräsident Thomas Klestil entschuldigt sich bei Michael Stich. Das österreichische Fernsehen ließ den obersten Politiker, ganz Absolvent bewährter Diplomatenschule, verkünden, das Gebaren seiner Landsleute sei ihm doch „sehr peinlich“ gewesen. Darob sich die Kleine Zeitung über diese „staatstragende“ Geste erregte: „Wieso legt der Bundespräsident andere Maßstäbe an als die internationale Schiedsrichtergilde?“ Und die Neue Zeit jammerte: „Klestil qualifiziert 11.000 Tennisbegeisterte zu Schreihälsen ab.“ Ja, warum wohl? Oberschiedsrichter Stefan Fransson, als Schwede über die deutsch-österreichischen Befindlichkeiten erhaben, hätte die „Partisan crowd rule“ anwenden können, wonach der Heimvorteil der Heimmannschaft bei einem zu parteiischen Publikum kurzerhand in einen Punktabzug münden könnte. Er tat es nicht. Die Kanzlei des Bundespräsidenten dementierte die Entschuldigung. DTB- Sprecher Hecht beschied gar plötzlich, nachdem denn doch nach drei Matches und einer 2:1-Führung am Sonntagmorgen die sportliche Leistung, Stimmung hin, Stimmung her, dem Plansoll entsprach: „Die Östereicher waren gute Gastgeber.“

Wie wär's eigentlich mit der Diktion der Neuen Zeit (Österreich): „Die Davis-Cup-Sitten sind nirgends anders.“ Cornelia Heim

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