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SanssouciVorschlag

■ „Schlampenfieber“ und andere Vorgänge im BKA

Gewissermaßen ist dies nur eine „halbe“ Kritik, eine Kritik, die nur über den „Rosenstolz“-Auftritt nach der Pause, vielleicht auch noch über das halbe Lied vor der Pause berichten kann. Dies deshalb, weil an dieser Stelle ursprünglich gar nicht über das erquickliche Duo geschrieben werden sollte – nein, den „Enterbten“ im BKA-Zelt galt ursprünglich das Interesse. Die Hausgruppe des BKA hat sich nach zwei Jahren der Sprachlosigkeit vollmundig zurückgemeldet, um der darbenden Berliner Kabarettszene den Weg zurück zum wahren Kabarett zu weisen. Also: ein Kabarett, das sich nicht der zuschauergefälligen dreieinhalb- Minutengrenze bis zur nächsten Pointe unterwirft und schon gar nicht der Versuchung unterliegt, die dem Kanzler eigene Sensibilität aufs Korn zu nehmen. Kein kleiner Anspruch, und Grund genug, den Enterbten einmal im hauseigenen Zelt auf den Grund zu gehen.

Dann aber war es so, daß die „Enterbten“ am Donnerstag bereits den zweiten Abend mehr oder minder auf geschlossenes Desinteresse stießen, die paar versprengten Besucher verließen außerdem alsbald das Zelt. Es scheint, als setzten die „Enterbten“ alles daran, ihren Programmtitel „Die letzte Ölung“ im Selbstversuch umsetzen zu wollen. Ob darin nun die Zukunft des Berliner Kabaretts liegt?

Nach einem längeren Wortwechsel über Sinn, Unsinn und v.a. Versagen der gedruckten Kritik über Off-Kultur raste die Reporterin kurzentschlossen ins Mutterhaus des BKA, zur Premiere von „Rosenstolz“ – so schnell es eben ging, angesichts des gedankenschweren Diskurses zwischen Kunst und Kritik und zwischen den Generationen. Merke am Rande: Die satten, um nicht zu sagen, der Off-Kultur überdrüssigen Berliner KritikerInnen liefern keine angemessen scharfe, anstachelnde Kritik zum/über/am Kabarett. Die Folge: Lähmung allüberall.

Doch zum Glück gibt's Rosen. Stolze Rosen, obendrein blutjunge (im Vergleich zu diversen Kabarettaltvorderen). Anna R. ist der strahlende Mittelpunkt von „Rosenstolz“, umrankt von Peter Plate (Keyboard; ihr Partner seit dem Start vor zweieinhalb Jahren), Jonas Gottfriedsen (Sax.) und Christian Bader (Git.). Junge, lebendige Frauen waren es immer wieder, die mich in der Kleinkunst begeisterten. Und nun noch eine? Doch: Trügt da nicht der Schein – ist sie, ist das Programm tatsächlich so jung, wie Plate aussieht? Kaum trete ich ein, denke ich an Nina Hagen (diese Opern-Röhre!), nach der Pause: „Wenn ich ein Junge wär...“ Ich sehe mich um und sehe Plateauschuhe, Schlaghosen und durchsichtigen Flatterfummel. Also: Wo sich schon nicht die Fossilien der Siebziger aufdrängen, da wird man offensichtlich unvermeidlich von den Zitaten dieser Zeit eingeholt. Die Siebziger boomen, auch hier.

Doch der Abend offenbart, daß die Wurzeln dieser Rosen viel tiefer reichen: Von der Harley-Rockerin bis zu Marlene Marianne Edith Garbo. Oh du Göttliche, hilf mir – plötzlich tritt die Vega auf, wenn auch nur in einer Nebenrolle. Wie wahr, Anna R. kennt keine Gnade, dafür aber all die (weißen Chanson-) Sängerinnen, deren Stimmen zuweilen über alle Wolken tragen. Alles nur Zitat? Erinnerungen an das Gewesene? Offenbar ist nichts von selbst, nichts neu. Aber in Ausnahmefällen wie diesen hören wir glanzvolle Zitate. Hier bekennt sich eine starke Persönlichkeit zu ihren Vorbildern, ohne deren Imitat zu sein. Mit postfeministischen Krallen mimt sie die mondäne Diva und selbstbewußte Schlampe („Zum Lieben bist du da, aber komm' mir nicht zu nah“), läßt sich feiern und jubiliert mit einer unglaublichen Stimme, der der BKA-Raum unterm Dach viel zu klein ist.

Selbst wer sich wehrt, hat hier kaum eine Chance, von ihrer Stimme nicht gefangen genommen zu werden, ihrem Charme nicht zu erliegen. Ein Genuß um so mehr, da sie auch etwas zu sagen hat. Laut. Und leise. Feinsinnig, fast schon poetisch erzählt „Januar“ von Fotos im Kühlschrank und gefrorenem Lächeln. Laut, polternd und aufreizend lasziv dagegen intonisiert sie ihr Credo vom Rasseweib mit „Schlampenfieber“. Um so sympathischer, daß auch das Lampenfieber ihre Stimme leicht zittern läßt. Aber nur bei der Ansage. Petra Brändle

Rosenstolz: „Schlampenfieber“: Heute und 23./24. Juni im BKA, Mehringdamm 34, Kreuzberg

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