Sanssouci: Nachschlag
■ "Musik der Gegenwart" mit dem Symphonie-Orchester des SFB
Wenn Wolfgang Rihm redet, ist es meist nicht anders, als wenn er komponiert: Er redet viel. Luigi Nono hingegen, erinnert man sich, redete klar.
Wolfgang Rihm war vergangenen Samstag das hundertfünfzigste Konzert „Musik der Gegenwart“ des SFB mit dem Radio- Symphonie-Orchester Berlin gewidmet. Allerdings, wie er sich selber ausdrückte, nicht nur dem Musiker Rihm, sondern auch dem Hörer Rihm. Sprich: Er durfte bei der Programmzusammenstellung ein Wörtchen mitreden. Schumanns „Manfred- Ouvertüre“ und Nonos „A Carlo Scarpa“ wurden so zwei Stücken Rihms vorangestellt.
Ohne Pause, hatte sich der junge Dirigent Peter Hirsch entschieden, sollten diese beiden Stücke aneinandergeklebt werden. Schließlich endet Schumanns Ouvertüre in Es-Dur, und Nonos Komposition beginnt mit einem Es. Trotz dieses nicht gerade vielversprechenden intellektuellen Purzelbaumes brachten er und das RSO das Schumann-Stückchen, von ein paar Patzern im Blech einmal abgesehen, brav hinter sich.
Nonos, wie der Titel bereits sagt, dem Architekten Carlo Scarpa gewidmete Orchesterkomposition weist in andere Dimensionen. Penibel austarierte Klangblöcke setzen sich beharrlich in die Stille, insistieren in porösen, seltenst ausbrechenden Tonbalancen. Das Tonmaterial bleibt dabei während des ganzen Stückes auf C und Es, den Initialen des Widmungsträgers, und deren mikrotonalen Eintrübungen beschränkt. Keine Motivik ist mehr da, keine Melodik; Rhythmus entwickelt sich nicht. Vielmehr fügt Nono Bruch an Bruch und führt beeindruckend vor, daß Stille nicht nur komponiert sein will, sondern auch unterschiedlichste Klangpartikel mit überraschender Logik zusammenzufügen vermag.
Es folgte Wolfgang Rihms „Umfassung – Musik in memoriam Luigi Nono (4. Versuch)“. Und siehe da, Rihm, als Neoromantiker vielfach verunglimpft und besonders im Ausland oftmals mit verständnislosem Stirnrunzeln bedacht, versuchte sich am Nonoschen Vokabular; auch da darf nun Stille sein, auch da wird nun Klang ins Extreme gesteigert. Kaum ein Streicherton, der nicht mit Flageolett versehen wäre. Was herauskommt ist ein Schulbeispiel dafür, daß sich jedes Plagiat selber als solches kennzeichnet, stellt man es nur neben das Original: Rihms Stück klingt, als hätte man Nonos Musik durch eine vollautomatische Waschanlage geschleust. Was bei Nono mystische und sinnliche Erfahrungen weckt, steht in Rihms Version plötzlich glänzend, brillant und nichtssagend da. Auch eine weitere Komposition Rihms für zwei Sopranstimmen und Orchester kam darüber leider nicht hinaus.
Daß Nono einst mit großem Skandal und sofortigem Abbruch seiner Lehrtätigkeit an der HdK quittierte, was er „Berlins hoffnungslose Provinzialität“ nannte, wird im Programmheft des Konzertes durch die lapidare Notiz „1987/88 Professor für Komposition an der Hochschule der Künste“ gewissermaßen ins Gegenteil verkehrt. Die Stille aber spricht: Nono hat es gezeigt. Fred Freytag
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