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SanssouciNachschlag

■ Am Rande des Jazz

So ein Jazzfestival ist eine merkwürdige Einrichtung. Vier Tage lang kann man theoretisch von nachmittags bis abends Konzerte besuchen. Das hält natürlich kein Mensch aus. Also versucht man seine Gänge in Philharmonie, Delphi – neuerdings auch ins Musikinstrumentenmuseum und Podewil – nach der Devise wer wenig hört, wird viel hören zu organisieren. Das aber verlangt eine konsequente Auswahl der Bands, die man hören oder eben lieber nicht hören will. Nichts ist schlimmer, als am nächsten Tag in der Kantine der Philharmonie von Kollegen zu hören, wie toll doch die dritte Band gestern um halb drei Uhr nachts im Delphi gewesen ist. Wieder was verpaßt. Um das zu vermeiden, muß man das Prinzip der süchtigen Automatenspieler verfolgen: egal wie das Spiel läuft, niemals weggehen.

Wenn in der Philharmonie so um elf die Pforten schließen, stellt sich die existentielle Frage: Wohin fahren wir? Zum Delphi oder zum Total Music Meeting ins Podewil. Am Donnerstag stieg ich zufällig mit dem ziemlich dicken David Moss ins Taxi – der Schlagzeuger hatte in diesem Jahr leider nur einen Auftritt als Ansager beim JazzFest –, eingeklemmt zwischen Moss und seiner Begleitung war ich wehrlos der Abstimmung über das Fahrtziel ausgesetzt, und plötzlich stand es 3:1 für das Delphi. Dadurch verpaßte ich den Auftritt der Brötzmänner im Podewil, der bestimmt viel spannender war als die drei „Kölner Stadtgarten“-Bands, von denen ich bei der ersten nur das letzte Stück hörte, bei der zweiten die knappe Hälfte und von der letzten gar nichts – wegen Müdigkeit saß ich schon längst wieder im Taxi, diesmal konnte mich wenigstens niemand überstimmen.

Am nächsten Abend war ich dann tatsächlich im Podewil. Der Pianist und Kettenraucher Misha Mengelberg hatte die freie Auswahl der Musiker. Unter anderem dabei auch der Drummer Han Bennink, Teil des FMP-Urgesteins und Total-Musiker seit Anbeginn. Zunächst improvisierte man als Gruppe, wovon ich wieder nur das Ende mitbekam. Dann gab es diverse Soli. Mengelberg verließ fluchtartig das Terrain, als Bennink zu den Stöcken griff. Und was dann passierte, war wie eine Zeitreise. Bennink legte irgendwann die Füße in den roten Springerstiefeln auf die Trommeln, genau die gleichen Stiefel hatte er vor vier oder fünf Jahren auch schon beim Total Music Meeting im Quartier an – und er schien auch fast genauso zu trommeln. Damals wie heute verließ er irgendwann das Drumset und klopfte begnadet auf dem Bühnenboden herum.

Nun läge die Vermutung nahe: Nichts Neues im Jazz. Aber nicht einmal das kann ich behaupten, denn die besten Konzerte habe ich garantiert wieder alle verpaßt. Andreas Becker

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