Sanssouci: Nachschlag
■ Mit Oswald Spengler zum Endsieg des Kommunismus
Daß ein germanistischer Vortrag nicht unbedingt identisch sein muß mit einem intellektuellen Ertrag, weiß jeder, der mit jenen Germanisten seine Erfahrungen machen konnte, die mit ihren und anderer Leute Fußnoten Inzucht trieben und die entstandenen ambitionierten Mißgeburten dann einem staunenden Publikum verkaufen. Derart im Sekundären wühlende Abseitigkeiten aber bleiben außen vor im Literaturhaus in der Fasanenstraße und in einem Vortrag über „Heiner Müllers Bilder des Aufstands gegen die westliche Zivilisation“. Referent Richard Herzinger, Dozent an der FU, legte die Verbindung von konservativer deutscher Zivilisationskritik und einem Teil von Müllers Werk dar. Dessen These: Die kommunistische Weltrevolution steht nach wie vor auf der Tagesordnung – aber nicht mehr durch die mittlerweile konsumistisch verdorbene Arbeiterklasse, sondern durch die zivilisatorisch unverbildeten Menschen der Dritten Welt, die das dekadente Europa mitsamt Aufklärung und Humanismus in den Orkus jagen werden. Diese Botschaft, so Herzinger, aber wird im Westen kaum wahrgenommen, wo man den Dramatiker eher als schrägen Provokateur aufnimmt. Aber mit was provoziert er? Zum Beispiel mit Bemerkungen über die „kulturell überfremdete und amerikanisierte Bundesrepublik“, mit Feststellungen, daß „Humanismus eine Rentnerideologie“ sei und „die Aufklärung... eine negative Kraft, die alles zersetzt, was ihr in die Finger gerät“.
Der Vortrag – übrigens gänzlich unpolemisch – beschäftigte sich mit den Wurzeln solchen Denkens und fand sie bei Carl Schmitt, Ernst Jünger (immerhin Müllers liebste Zitatlieferanten), den antiliberalen konservativen Revolutionären der Weimarer Republik und Oswald Spengler. Und auch die Revolution von „der“ Dritten Welt läßt auf eine Volkstumsideologie schließen, die von der Identität von Volk und Herrschern ausgeht und für die Gewalteinteilung und Menschenrechte eben nur zersetzender Firlefanz sind. Herzinger folgerte daraus, daß sich genau da der rechte Rassist und der angeblich linke Antikolonialist treffen, weil sie beide vom gleichen Geschichtsfatalismus geprägt sind, nur in Rasse-Begriffen (von der Klasse hatte Müller sich ja verabschiedet) denken können. Pragmatische Schadensbegrenzung und humanistischer Rationalismus ist für diese Denkweise kein Hilfsmittel, sondern Mit-Ursache des Übels, daß es auszurotten gilt. Endsieg, Reinigung, Apokalypse, Untergang, Neuer Mensch – die alten deutschen Vokabeln haben also überlebt. Sie sind auch aus den Buchseiten und Textbüchern der Schöngeister herausgetreten und marschieren 1992 auf Deutschlands Straßen. Die im Osten klaffende Utopielücke könnte sich dann sehr schnell zum Auffangbecken allerlei kruder Ressentiments gegen die liberale Zivilgesellschaft entwickeln, wie sie jetzt schon immer erfolgreicher von jungen Rechten mit intellektuellem Anspruch gepredigt werden. Spätestens dann wären Müllers mythische Reden und Bilder mehr als schaurig-schöne Party-Unterhaltung, sondern organisatorischer Bestandteil eines Volksganzen, das sich endlich von dekadenter Schwächlichkeit befreit hat. Dann aber stünde die Apokalypse wirklich vor der Haustür. Marko Martin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen