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SanssouciNachschlag

■ Laienspiel im Hans-Otto-Theater Potsdam

„Andorra“, Max Frischs didaktisches Lehrstück über Fremdenhaß, Kleinbürgerlichkeit und Intoleranz (1961 in Zürich uraufgeführt), gerät wieder ins Blickfeld von Dramaturgen und Regisseuren. Besonders in den neuen Bundesländern, wo man zu DDR-Zeiten dem Stück eher mißtrauisch gegenüberstand, ist – aus aktuellem Anlaß und in Ermangelung guter Gegenwartsstücke – zu diesem Thema vermutlich künftig mit einer Aufführungsserie zu rechnen.

Für die Inszenierung in der Potsdamer Studiobühne hat Regisseur Taygun Nowbary den Text auf knapp anderthalb Stunden Spieldauer zusammengestrichen. Sämtliche Szenen, in denen die Andorraner an die Zeugenschranke gerufen werden und aufgefordert sind, zum Tod des Juden Andri Stellung zu nehmen, fielen dem Rotstift zum Opfer. Das hätte der Aufführung guttun können, wäre Nowbary innerhalb der Szenen verantwortlicher mit dem Text umgegangen. Aber hier hat er es nicht bei – oftmals unverständlichen – Strichen belassen, sondern Frisch auch noch zugunsten seiner eigenen Intentionen vergewaltigt. Und so gerät der Abend zu einer platten Abfolge von dahingesagten Sätzen. Die Schauspieler sind jeweils auf einen Charakterzug reduziert: Der Lehrer ist nur ängstlich, der Tischler nur böse, der Soldat nur fies, der Pater nur schmierig. Die bei Frisch vorhandene Vielschichtigkeit der Figuren, der Zynismus, der unter dem alltäglichen Verhalten der Andorraner versteckt ist und sich erst allmählich in seiner ganzen Feigheit und Gefährlichkeit zeigt, bleibt in dieser Aufführung gänzlich konzeptionell ausgespart.

Schau-Spiel ist das, was auf der kleinen Bühne stattfindet, beim besten Willen nicht zu nennen. Von der ersten bis zur letzten Minute schlägt dem Publikum geballter Dilettantismus entgegen, der bei einem Laientheater mit dem guten Willen der Beteiligten entschuldigt werden könnte. Die Regie – der Intendant des Hauses, Guido Huonder, zeichnet dafür mitverantwortlich – hat hier komplett versagt und sich offensichtlich darauf beschränkt, die Schauspieler zwischen den Szenen kaschierte Steinplatten (made in GDR) hin- und herschieben zu lassen. Aber wo es keine Idee gibt, hilft auch die äußere Veränderung des Bühnenraumes nicht weiter. Die damit verbundenen langen Umbaupausen nerven außerdem.

Einzig Carsten Böhme läßt sich die Rolle des Andri nicht völlig nehmen. Diesem jungen Schauspieler gelingt es manchmal, gegen die lähmende Gleichmacherei anzuspielen. Seine Fröhlichkeit, die im nächsten Moment in Verzweiflung umschlägt, seine Frische im Gegensatz zu den festgefahrenen Gebärden seiner älteren Kollegen lassen erahnen, was aus dem Abend hätte werden können. Sibylle Burkert

Nächste Vorstellung: 20.12., 19.30 Uhr, H.-Mann-Allee 103

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