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SanssouciVorschlag

■ Zeit für Erfolg

Angefangen hat alles 1981. Da haben wir in meiner Frauengruppe an Weihnachten gewichtelt, und Andrea, die feministische Gewerkschaftsfrau unserer Runde beschloß, daß ich nun endlich auch den lilanen „Wir Frauen“-Kalender besitzen müßte. Bis dahin war ich mit der alternativen Imagepflege in Diariumform nicht weiter in Berührung gekommen, aber schon wenige Tage nach Weihnachten, als ich zum ersten Mal in meiner Stammkneipe den neuen Kalender aus der Tasche zog, wurde mir das Prinzip schlagartig klar. „Ach, wohl gewerkschaftsorientiert?“, kommentierte Hildegard mein lila Büchlein und setzte spitz nach: „Der fällt sowieso in drei Monaten auseinander!“ Sie selbst dokumentierte ihre Gesinnung seit Jahr und Tag mit dem „Roten“, dem gegen den grauen Alltag aus dem Rotbuch-Kollektiv. Auch im Frauenzentrum kam ich jetzt nicht mehr besonders gut an, dort trug man traditionsbewußt das Original aus dem Emma-Verlag. 3.075 Adressen aus dem In- und Ausland, Menstruationskalender inklusive.

Wie ich die Jahre 1983 und 1984 kalendermäßig rumgekriegt habe, weiß ich nicht mehr so genau, aber zum Jahreswechsel 85 kam wieder Schwung in die Kalenderfrage. Hildegard überlegte lange, ob sie nicht doch auf den Öko-Kalender umsteigen sollte, „wegen Umweltschutz und so...“, tat es dann aber doch nicht, „weil der ja schon in der Buchhandlung auseinanderfällt“. Und meine Schwester zeigte sich unerwartet progressiv, sie legte mir unter den Weihnachtsbaum meinen ersten „Lesbenkalender“. Der hatte nun wirklich ungeheure Vorteile in Sachen Cruising. Kaum hatte ich das Ding im Hegel-Seminar auf den Tisch gelegt, lächelte meine attraktive Banknachbarin, mit der ich seit zwei Semestern ins Gespräch kommen wollte, hinreißend verschwörerisch. Wir verabredeten uns zu einem Kakao in der Mensa. Leider war mein praktisches Weihnachtsgeschenk schon im Frühjahr in eine Lose-Blatt-Sammlung übergegangen – „Habe ich ja gleich gesagt!“ kommentierte Hildegard – und im August war es dann endgültig vorbei. Ich beneidete Sabine, die in diesem Jahr peinlicherweise von drei Freundinnen den gleichen Frauenkalender geschenkt bekommen hatte.

Mein alter Schulfreund Jürgen zeigte für meine Kalenderprobleme nur wenig Verständnis. Ganz Yuppie, hatte er sich schon im letzten Jahr ein „Original Filofax“ aus London mitgebracht. Das unscheinbare Lederringbuch war sein ganzer Stolz. „Total praktisch!“ triumphierte er, „haben die da jetzt alle. Mit Monatsplaner, Tagesplaner und Wochenübersicht, ganz nach meinen individuellen Wünschen zusammengestellt. Spart ungeheuer viel Zeit.“ Das konnte ich nicht so recht einsehen, schließlich mußte Jürgen meinen Geburtstag jetzt gleich in vier Rubriken eintragen: In seinen „vertikalen Jahresplaner“, unter „Birthday & Special occasions“, in die Rubrik „Private“ und bei „Don't forget!“. Dafür hatte er zugegebenermaßen weder die Last der schlechten Bindungen, noch mußte er sich fortan Neujahr für Neujahr mit der frustrierenden Übertragung des Adressenteils herumschlagen, bei dem mir immer wieder klar wurde, wie viele Leute im letzten Jahr aus meinem Blickfeld verschwunden waren.

Mit der Zeit stiegen auch meine anderen Freunde ins Berufsleben ein und auf die „Personal Time Manager“ um. Das Führen dieser neuen Statussymbole verlangte zwar eine einmalige sechswöchige Einarbeitungszeit, aber „wenn man es erst einmal begriffen hat“, erklärte mir Sabine, „dokumentiert man doch souverän, daß Zeit eben Geld ist.“ Wer noch nicht in die Filofax- Preisklasse von 350 DM, Einlagen exclusive, paßte, kaufte sich heimlich den Date-Liner von Tchibo für 49,95 DM. Nur Hildegard schwörte immer noch auf ihren Roten Kalender. Aber die arbeitet auch im sozialen Bereich.

Seit zwei Wochen habe ich nun auch so ein „Individuelles Zeitplansystem“. Braucht man ja wohl doch irgendwie. „Success. Zeit für Erfolg“ ist auf dem braunen Ringbuch der Formatgröße „Office“ eingeprägt. Mit Jahresplaner, Tagesplaner und den Rubriken Aktivitätenplan, Projektplanung und Checkliste kann ich schon ganz gut umgehen. Nur die Blätter „Meine inneren Widerstände“, „Visionen“ und „Meine Ziele nach Priorität“ habe ich erst mal in den Schreibtisch gelegt. Auf der Innenseite des Prospekts ist eine kleine Grafik abgedruckt, die mir die „Erfolgreiche Zeitgestaltung mit dem Success-System“ näherbringen soll. Weil ich die nach zweistündigem Studium immer noch nicht begriffen hatte, traf ich mich gestern mal wieder mit meinem alten Schulfreund Jürgen. „Pah!“ machte der nur verächtlich, als ich ihm stolz meine Neuerwerbung für 452 DM (Inlays inklusive) präsentierte. „Mit so was arbeitest Du noch?“ Dann zog er so ein kleines schwarzes Gerät aus der Jackentasche, sein neuer Electronic Time Organizer. „Das geht jetzt alles mit Chips. Ist doch völlig blöde, alle Termine immer viermal einzutragen. Jetzt muß ich nur noch auf Control, Alt und X drücken, und schon weiß ich, was ich morgen alles erledigen muß.“ Hat er sich aus Hongkong mitgebracht. Haben die da jetzt alle. „Spart ungeheuer Zeit“, hat Jürgen noch gesagt, dann piepte der schwarze Kasten. Jürgen mußte zu seinem nächsten Termin. Klaudia Brunst

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