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SanssouciVorschlag

■ „Der Würfel“ im Theater Zerbrochene Fenster

Eine raumgroße, blaue, einem Basketballfeld gleichende Spielfläche. Sechs Holzsäulen, eine Wäscheleine, auf die ein Lappen geklammert ist, eine Coch, auf der eine Gitarre liegt, ein Telefon. Dann noch ein kleiner Holzstuhl, ein Marmorsockel, ein Akkordeon, das an einer Säule hängt, und irgendwo dazwischen sechs Schauspieler – drei Frauen, drei Männer – die sich gleichförmig monoton auf das „Spielfeld“ hin bewegen. Und sie laufen, laufen, laufen..., ohne daß ein Wort fällt. Explosion – eine Frau springt aus der Monotonie, beginnt sich zu bewegen, entwickelt einen Charakter, findet zu ihrer Rolle. Eine Kettenreaktion schließt sich an, jeder schlüpft in einen Charaktermantel und gibt sich diesem hin.

„Würfel“ heißt das Stück, das in den Räumen des „Theaters Zerbrochene Fenster“ von Amsterdamer Schauspielern in Zusammenarbeit mit ihren deutschen Gastgebern erarbeitet wurde. Es ist ein Spektakel, ein Spektakel nach dem Will-Spoor-Prinzip. Jeder Schaupieler entwickelt einen vollständigen Charakter, der etwas Besonderes zu der Aufführung beizutragen hat. In einem bestimmten Moment kommen diese individuellen Geschichten zusammen, werden Berührungspunkte, Zusammenspielmöglichkeiten und Konfliktaktionen gesucht. So entsteht im Moment selbst ein „Gesamtkunstwerk“, dessen Form unmöglich im vorraus planbar ist. Keine Aufführung gleicht der anderen – ein Abenteuer für Publikum wie für die Spieler.

Will Spoor hat diese Arbeitsweise im Laufe der Jahre entwickelt, um die Vielfalt der Charaktere und deren Fertigkeiten die größtmögliche Ausdrucksfreiheit zu bieten und diese zu einer einzigartigen Gesamtaussagekraft zu verdichten. Es ist sehr vergnüglich und oftmals auch sehr lachmuskelstrapazierend, das Treiben auf der Bühnenfläche zu verfolgen.

Da ist zum Beispiel die ewig hektische, putzbesessene, zum Alkohol neigende Hausfrau; die feine, leicht verklemmte, dennoch hysterische „Dame von Welt“ oder der leicht neurotische, sich immer auf der Suche nach Getier befindende Wißbegierige im Afrika-Look. Jeder für sich verfolgt zunächst seine eigene Geschichte, und doch entstehen aus dem Chaos des Gewürfelten plötzlich kurze Verzahnungen. So landet das vom Wißbegierigen ins Visier genommene Insekt auf dem Hinterteil der gerade in „Putzstellungen“ befindlichen Hausfrau. Der Schlag – er gleicht einem Donnerschlag.

Szenenwechsel: Es stehen Stühle auf der Bühne. Plötzlich werden sie zu den Hauptakteuren auf der Szene. Hinter jedem Möbel ein Schauspieler, der seinen Stuhl mit wenigen Handbewegungen zum Tanzen bringt. Auf und nieder, hin und her. Der Takt der aufstampfenden Stuhlbeine: Gradmesser für die Seelenzustände der Figuren; die entstehende hölzerne Klangkulisse: eine Art Lied über die verschiedenen Charaktere. Hektisch die Putzbesessene, elegant die Dame von Welt, besessen der Wißbegierige. Die Aufführung wird jeden ansprechen, der von der Muse des Bewegungstheaters fasziniert ist. Beatrix Reinhardt

Weitere Vorstellungen: Bis zum 18. Januar, um 21 Uhr im Theater Zerbrochene Fenster, Fidicinstraße 3, Eingang: Schwiebusser Straße 16, Kreuzberg

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