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SanssouciNachschlag

■ Nachdenken über Pablo Picasso in einer szenischen Komposition von Gerald Uhlig

So geht der Bürger gerne ins Theater: Im Kulturforum überzieht eine Klarsichtfolie die frisch eingesetzten Fensterscheiben, die Garderobenständer sind noch in Plastik eingeschweißt und die Türklinken nicht montiert. Kaum haben RaumpflegerInnen die letzten Spuren der Handwerker beseitigt, und schon wird der Raum mit Farbbeutelwürfen und Wasserschlachten spektakulär bespielt. Fast nehmen die BesucherInnen hier zu blauer Stunde das Recht der ersten Nacht wahr, wo sonst doch allerorten vom schleichenden Tod des greisen Theaters geredet wird. Zwischen Happening und orphischem Mysterienspiel fällt die Wiedergeburt des Aktionstheaters mit der Passionsgeschichte des großen Stiermalers zusammen: Wie bekommt man seinen Pinsel unter Kontrolle? Wie wird der Kampf von Dionysus mit Apoll am Ende ausgehen? Während in der Nationalgalerie die Picasso-Suchenden freundlich von der knarrenden Stimme Otto Sanders per Miet-Walkman mit Kunsthistorien zum Thema eingelullt werden, stellt man im Gutbrodtschen Museumsneubau sehr viel zielstrebiger der Psyche des Meistermalers nach: „...denn wer weiß schon, woraus die Kunst geboren wird“ – auf diese Frage hat Gerald Uhlig an der richtigen Spielstätte geantwortet, an der er den Werdegang des Spaniers szenisch nachvollzieht.

Die Inszenierung greift mit archäologisch geübtem Blick auf eine Fülle biographischer Schnipsel – Briefe, Tagebucheintragungen und Künstlerklatsch – aus allen Entwicklungsphasen Picassos zurück. Sie werden nicht zum schwerelosen Gesamtkunstwerk zusammengeschustert, sondern analytisch geschult seziert und umgeordnet. Gerald Uhlig ist bei seinen Mutmaßungen über Pablo Picasso auf die ältesten Zivilisationspraktiken gestoßen: die ewige Wiederkehr des immer gleichen Vaters, der nichts gegen die todbringende Haßliebe seines Sohnes ausrichten kann; Geschichten vom Krieg, den Glaube und Wissen miteinander führen – und die erlösende Forderung nach Kunst statt Kastration. Es ist eine Welt des Mannes, dem das Weib den „Sinn“ zuträgt.

Gleich zu Beginn wird diese Welt noch einmal neu erschaffen. Mit feinen Schritten tänzelt eine Art Nymphe in lindgrünen Gewändern über die Bühne und hält Ausschau nach der Sonne. Dann formt sich alles nach Picassos Bildern: Matadoren, Konkubinen, Künstlermätressen. Sie streiten in allerlei Variationen um den müden Stier/Maler, der für die Geburt der Kunst ebenso Sorge trägt wie für die Vereinigung von und mit Europa, die als spanische Marquesa sich dem gehörnten Kavalier hingibt. Der Urmythos nimmt seinen Lauf, der schwängernde Stier entpuppt sich als der Vater Pablos, der nun im Kampf mit dem Torero, Sinnbild für Picassos gespaltene Identität, bezwungen wird. Selbst der Schmerz der Mutter wird bei solcherlei symbolischen Konflikten nicht vergessen, wenn auch nur als Stimme aus dem Off. Sie muß abwesend bleiben. Der Vater wird dagegen im weiteren Verlauf von Uhlig auf die Tribüne verbannt. Er darf, sich als Präsident wähnend, das Erbe Schrebers vollstrecken und dem existentiellen Tanz-Kampf – der Corrida – aus sicherer Entfernung melancholisch beiwohnen. Als zweitklassiger Künstler tatsächlich am Genie seines Nachwuchses gescheitert, muß er nun untätig dem totalen Triumph des Helden-Matadors Pablo Picasso zusehen, wie er den Weggefährten Braque, die Liebesklage unzähliger verführter Frauenopfer und den Argwohn der Kritik überwindet. Daß dabei die Farbe über den Verstand siegt, sickert auf dem Theater ebenso durch wie auf der Leinwand. Harald Fricke

„Pablo Picasso oder ich folge dem Matador“: Bis zum 24.1. jeweils um 20Uhr, im Kulturforum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Matthäikirchstr.10 (neben der Neuen Nationalgalerie), Schöneberg.

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