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SanssouciVorschlag

■ Michael Schmidts Fotografien in der Galerie Springer

Daß jede Avantgarde, im besten Fall, Tradition wird, ist auch die Geschichte von Michael Schmidt. Er hat, als einer der ersten in Deutschland, „Fotografie als Fotografie“ betrieben: Fotografie als eine Kunst, die keine anderen als fotografische Mittel einsetzt und sich gleichzeitig etlicher Ansprüche, die an Fotografien gestellt werden, entledigt. Der Grat, auf dem sich eine solche Fotografie bewegt, ist schmal, und die „Bewegung“ ist wörtlich zu verstehen. Michael Schmidt ist mit seiner Kamera in Berlin unterwegs.

Das allerdings will erraten sein, denn die Lage der Orte, die Schmidt fotografiert und letztlich für seine Präsentation in der Galerie Springer ausgesucht hat, wird nicht über Beschilderung konkretisiert: „ohne Titel“. Es ist ein blei-, beton-, schiefergraues Irgendwo, das Schmidt im Blick hat: die Stadt als Barriere, als Störung. Vom Detail her setzt der Fotograf das Bild der Stadt zusammen; die tektonische Wucht eines vorspringenden Balkons, einer Eternit-Trennwand oder einer hölzernen Sperre wird nicht relativiert. Hier, im Greifbaren, wird die Substanz der Stadt, das Stoffliche, festgeschrieben, und dort, in der Unschärfe, öffnet sich der Baukasten, wird das als Zitat angefügt, was die Anlage der Stadt ausmacht: eine unverwechselbare Flucht, der gestreifte Barren eines Hochhauses.

Damit ist Schmidt an den Wurzeln des zivilisierten Blicks angelangt, der ein zugleich behende deutender und irritierter ist. Der Verschnitt, die Überlagerung von Nah und Fern, erscheint als Rätsel. Hier das Gegebene, Stoffliche: Nägel, Draht, Putz, Gekritzel („Kristin ist eine Huure“); dort die festgefügte Dimension der gebauten Stadt, die den Rhythmus, das Befinden der Bewohner(innen) dominiert. Denkt man. Schmidt aber mißt die individuelle Sphäre gegen den Geschichtsraum aus. Über die Unschärfe wird der Geschichtsraum an das Greifbare angebunden, quasi eingespiegelt. Die Schnitte sind hart, und wo die Schärfe an die Unschärfe grenzt, wirken Schmidts Bilder teils wie Collagen, was sie nur in übertragenem (nicht im technischen) Sinne sind. Die Ebenen der Stadt werden in Schmidts dualem System zusammengefügt, gekoppelt; Wahrnehmungshälften, die sich verschalten. One World.

Michael Schmidt, Jahrgang 1945 (wie Anselm Kiefer), hat einen harten, kompromißlosen Weg eingeschlagen, und die Einsamkeit seines Wegs ist in den Bildern auf steinerne Weise spürbar. Weitab der Reportage, unbeeindruckt von den Grundmustern des „lyrischen“ Blicks der wieder schwer in Mode gekommenen „Neuen Sachlichkeit“, betätigt sich Schmidt als Bildhauer im städtischen Gefüge: Was zu erkennen ist, teilt sich nicht mit. Es muß aus der Wirklichkeit herausgebrochen werden.

Daß Schmidt zwischen seine Stadtbilder auch (wenige) Menschenbilder hängt, ist noch immer verwirrend. Aber die Ausstellung in der Galerie Springer gibt eine Ahnung davon, was Schmidt damit beabsichtigt: das Porträt ebenso zu dekonstruieren wie das gefestigte Genre der Stadtlandschaft. Schmidt, denke ich, will zeigen, wie auch die menschliche Physiognomie ins Stoffliche, in die Konkurrenz der Materialien eingeht. Offensichtlich ist, daß Schmidt die Verdichtung, das Kryptische seiner Fotografie nicht einsetzt, um den Bezug zur Wirklichkeit zu verschleiern.

Nur auf den ersten Blick ähneln die neuen Bilder von Schmidt seinem Zyklus „Waffenruhe“ von 1987. Damals waren die Fotografien, so assoziativ sie gebaut waren, durchdrungen vom Bewußtsein, daß die Stadt geteilt war. Thema waren die Risse. Die neuen Bilder sind einheitlicher, weniger sensationell, nicht mehr so deutlich orientiert an unheimlichen Schwärzen. Es gibt keinen prinzipiellen Unterschied zwischen der westlichen und der östlichen Stadt (und überhaupt keine Autos); was die Stadt ausmacht, ist – indem es undurchdringlich ist – universell.

In der grellen Galerie gleich unterhalb der Bahnüberführung sind die düsteren, grob DIN-A-1-großen, in Eisen gerahmten Arbeiten nicht immer leicht zu erkennen. Wie der Fotograf, der seinen Standpunkt auf den Millimeter austariert, muß der Besucher sich am Motiv leicht kreisend bewegen. Es wäre hilfreich, wenn die Galerie die Verglasung von Schmutz und Staub freihalten würde. Ulf Erdmann Ziegler

Galerie Springer, Fasanenstraße 13, 1/12. Bis zum 24.2., Mo.-Fr. 10-19, Sa. 11-14 Uhr (Katalog).

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