Sanssouci: Nachschlag
■ Kleiner Streifzug durch die Cafés rund um die Berlinale
In der Festspielzeit verlieren die begeisterten Filmfreunde ihre Heimat. Nur Anfänger suchen zwischen den Filmen des Tages ihre Wohnung auf; Erfahrenere dagegen kehren nur nachts irgendwann nach der letzten Vorstellung zurück. Die Wohnung wird zum Nachtasyl. Das mag zwar anstrengend sein, in erster Linie ist es jedoch wunderbar. Denn wenn die eigene Wohnung ihre eigentlichen Aufgaben nicht mehr erfüllen kann, werden selbst verschlossenste Filmfreunde hinaus in die Stadt getrieben und zwischen Film, Bier, Kaffee und ein paar Schnittchen wird selbst der in seiner entfremdeten Einsamkeit Versunkene gesprächig.
Seltsam vermischen sich die Erzählungen alter oder neuer Freunde, guter oder weniger guter Bekannter mit den Zeitungsartikeln und den Geschichten, die man gerade im Kino sah. Im „Schwarzen Café“ in der Kantstraße erzählt jemand, daß er ein großer Edgar-Reitz-Fan sei. „Heimat“ hätte er sich immer bekifft angeguckt und das sei sehr lustig gewesen. Grundsätzlich würde das auch mit Kinderfilmen ganz gut funktionieren.
Das „Schwarze Café“, das die aufsuchen, denen die „Paris Bar“ zu schick und die Savignyplatz-Kneipen zu affig sind, ist ein sensibler Seismograph der Vergänglichkeit. Wie das „Café M“ in der Goltzstraße ist es ein Relikt der frühen achtziger Jahre. Ex- Hausbesetzer müssen hier immerzu daran denken, wie die Zeit vergeht. Der interaktive Filmemacher Grahame Weinbren („Sonata“) dagegen erinnert sich seit 18 Jahren wehmütig an den Geschmack seiner „Letzten Zigarette“. Es sei übrigens alles eine Frage von „will power“.
Noch weiter zurück in die Tiefe der Zeiten reicht die Erinnerung des „Terzo Mondo“ in der Grolmannstraße. Gern erzählt der Wirt, wie hier vor 25 Jahren Andreas Baader und Rudi Dutschke miteinander plauderten. Von der Wand winkt Ho Chi Minh herüber. Vergilbte Girlanden träumen von alten APO- Zeiten.
Naß fliegt ein bißchen Schnee in den Imbiß der Kantstraße 7. Die „scharfe Sauce“ zum Fleischspieß verbrennt den Mund des Gastes; der Imbißbesitzer dagegen friert ein bißchen. Im letzten Film („Painted Skin“; King Hu) gab's Hundenudelsuppe.
Erwartungsfroh blinzelt der Filmfreund aus dem Arsenal Café in den perfekten Morgen und ordnet die kommenden Dinge. Eng aneinander gepreßt in der wartenden Mitternachtsmenge im „Delphi“ unterhält sich ein Pärchen über Canettis „Masse und Macht“. Das sei langweilig gewesen, beschwert sich die Frau und außerdem so schwer. Ein paar informierte Biker, die zu dem stets ausverkauften Road-Movie („Ich wollte Engel sehen“) von Sergej Bodrow gekommen sind, bestreiten energisch, daß es sich bei der Moskauer Rockergruppe aus dem Film um Hells Angels handeln würde. Die Rocker seien Freiheitskämpfer, die nach dem Augustpusch Präsident Jelzin geschützt hätten.
Mürrisch, gehetzt und bleich wie viele Journalisten im „Haus der Kulturen der Welt“ schaut das „Casimodo-Café“ in den Morgen. Im HdKdW ist es übrigens furchtbar. Den OrganisatorInnen ist das sicher nicht anzulasten, doch Journalisten in Masse sind im allgemeinen gräßlich und ungenießbar und sollen zur Strafe weiter im eigenen Saft braten. Im letzten Jahr wurden einige Kontrolleure hier von manchen Journalisten als „Stasi- Schweine“ oder einfach „Schweine“ beschimpft, Kassiererinnen wurden beleidigt. Und am widerlichsten war es, als ein Journalist ohne Akkreditierung ins Kino wollte, den Kontrolleur, der ihn so nicht reinlassen durfte, zunächst als „Schwein“ beschimpfte und „dir hau ich die Karte in die Fresse, wenn ich wiederkomm'“. Später drückte er dem Kontrolleur tatsächlich seine Akkreditierung auf die Nase.
Übrigens gab es hier auch in diesem Jahr kleine Skandale zu beobachten: Fünf Minuten jedenfalls nach „Ein Tag im Sterben von Sarajevo“ sagten drei Radiostationen verärgert ihre Studio- Interviews mit dem französischen Filmemacher ab. „Politkitsch!“
Ein anderes Skandälchen sorgte einen Nachmittag lang für viel Gesprächsstoff: Zwei JournalistInnen, die für die Auswahl der russischen Filme des „Forums“ zuständig waren, hatten nämlich die Filme, die sie erst ins Festival gebracht hatten, in der Festivalzeitung verrissen. Gekränkte Eitelkeit, so vermutet man, spielte da wohl eine Rolle.
In der Akademie der Künste (West) dominiert das gepflegte Filmgespräch, und kleine Flirts ergeben sich wie von selbst von Tisch zu Tisch und begleiten die Träume. Im „Babylon“ am Rosa-Luxemburg-Platz lungert man zwischen den Filmen stundenlang und selbstvergessen im schönsten Filmfestspielcafé herum. Im „International“ sagt einem zumindest der Colaautomat am frühen Nachmittag „Hallo“.
Am schönsten ist es jedoch in der Urania. Die Atmosphäre schwankt hier zwischen Café und Kantine. Am ehesten denkt man jedoch an die konzentrierte Melancholie von Flughafenrestaurants. Geschäftig eilen die Kinozuschauer die Treppe hoch, mit hallendem Schritt gen Saal, um später, noch voller Fernweh und überdreht zwischen Traum und Film schwankend, von grellem Licht geweckt zu werden. Die Akustik ist prima – das heißt, man kann die immer interessanten Gespräche am Nebentisch ganz gut verfolgen. Das entschädigt für manchen Film. Die Fensterfronten am Abend vermitteln Neoexistenzialistisches. Echte Blümchen stehen auf goldglänzenden Plastikunterlagen. Hinter dem Tresen steht eine nette Frau. Die hat ein Schild um den Hals, darauf steht: „Ich bin schwerhörig“.
Draußen schaut ein letztes Mal der Winter besänftigend vorbei. Es ist weiß, und lustig rutschen die Berliner Autos auf den Straßen ineinander. In ein paar Tagen wird sicher der Frühling vorbeikommen. Das ist immer so. Und immer geschehen die schönsten Sachen eher beiläufig. In der U-Bahn zwischen Alex und dem Kino International trifft man zwei fremde schöne Augen kurz vor dem Aussteigen, man findet zehn Mark oder in der leer geglaubten Schachtel ist doch noch eine „Letzte Zigarette“ drin. Detlef Kuhlbrodt
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