Sanssouci: Nachschlag
■ Peter Brombacher las Rolf Dieter Brinkmann
Nein, es wurde keine Gedenkveranstaltung anläßlich des 25jährigen Jubiläums der 68er- Bewegung zelebriert, das Publikum war keine verschworene Fangemeinde. Das hätte sich Rolf Dieter Brinkmann auch nicht gefallen lassen, hat er doch zeit seines Lebens alle Verlockungen des Literaturbetriebes mit ätzender Verachtung abgewiesen. Statt dessen: eine leere Bühne, in der Mitte ein alter Tisch, eine Leselampe, deren Design wohl schon immer als häßlich empfunden wurde.
Ein Mann liest, der von weitem Ähnlichkeit mit Brinkmann hat. Brombacher liest ohne rhetorische Tricks. Als läse da einer für sich selbst, und wir würden zufällig zuhören. Brinkmanns Texte (Westwärts 1 und 2, Briefe, Gedichte) wirkten wie unbehauenes Material. Authentisch eben, ein Wort, das Karriere machte zu einer Zeit, da der Kulturbetrieb mit allen Tricks versuchte, Authentisches in Serie herzustellen. Bei Brinkmann ist dies keine Attitüde, seine Wahrnehmung wird immer schärfer und teilt sich immer lapidarer mit („grünt Natur, fressen Tiere drüber hin“). Keine versteckten Angebote zur wohlfeilen Identifikation. Das haßte Brinkmann doch gerade an seinen Schriftstellerkollegen. Die seien nicht zu ertragen, flau, flach, geschwätzig und banal, vertraut er seiner Frau in einem Brief an. Und weil er sich der Entertainment-Rolle heutiger „Dichter“ nicht anpassen wollte, wird Brinkmann nur sporadisch wahrgenommen. Erst stand in den Programmen, es gebe eine Diskussion. Das wurde aber wieder durchgestrichen. Zu sehr fürchteten die Veranstalter das übliche Zerreden. So einsam der Autor war, so einsam läßt er seine Zuhörer zurück. So lapidar er schrieb, so lapidar ging er aus der Welt. 1975, 35jährig, starb er bei einem Autounfall.
Peter Brombacher eröffnete mit seiner Brinkmann-Lesung die neue Montagsreihe im „Fliegenden Theater“. Schon dieser erste Abend machte deutlich, daß die Reihe nicht ein weiterer Partikel im allgemeinen Kulturgemurmel der Stadt sein will. Die meisten Zuschauer hatten zuvor schon Roswitha Kämpers Inszenierung von Thomas Bernhards Stück „Vor dem Ruhestand“ über einen Gerichtspräsidenten, der früher bei der SS war, gesehen. Auch das weitere Programm soll archäologische Streifzüge durch das Bewußtsein unseres Jahrhunderts bieten. Derzeit hat es den Eindruck, daß solche Bemühungen nicht hoch im Kurs stehen, daß gerade in einer kulturinteressierten Öffentlichkeit das Bedürfnis nach „Zerstreuung“ ausschlaggebend ist. Damit aber Betroffenheit die Analyse nicht erschlägt, will man im „Fliegenden Theater“ diese neu entwickelte Konzeption aufrechterhalten. Brinkmann ist ein guter Auftakt. Harald Asel
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