Sanssouci: Nachschlag
■ Hilka Nordhausen las im Cafe Über-Eck
Entscheidende Entdeckungen werden zumeist im kulturellen Abseits gemacht. Am vergangenen Montag war das relevante Abseits in der Ostberliner Bar „Café Über-Eck“ zu Hause. Hilka Nordhausen verblüffte das Publikum mit ihrer Diashow „Melonen für Bagdad“. In der Show, die zum ersten Mal auf der documenta zu sehen war, hat außer Melonen und Bagdad so ziemlich alles Platz, was Liebhabern des Skurrilen das Herz schneller schlagen läßt. Während simultan allerlei durch keine vordergründigen Zusammenhänge geknebelte Dias auf drei Leinwänden zu sehen sind, liest Hilka Nordhausen ihre verschlungenen Prosalabyrinthe. Man könnte so weit gehen, in Hilka Nordhausen die erste Autorin zu sehen, die Deleuze/Guattari's Rhizom- Architektur in die deutsche Literatur einführte als eine Poetik des unabsehbaren Verknüpfens, Assoziierens und Montierens.
Wie um solche wirren Gedankengänge durch ihre Anwesenheit zu legitimieren, verfolgten Herr und Frau Merve die Bühnenshow aufmerksam vom Tresen aus, während wir unsererseits Herrn Gente, dem Merve-Verleger, erfreut dabei zusahen, wie er zügig ein Bier nach dem anderen leerte, uns so nebenbei zu verstehen gebend, was er seinerseits unter angewandter Rhizom- Technik versteht.
Die Stationen von Hilka Nordhausens Exkursion in die deutsche Realität und Surrealität heißen „Hamburg – Eifel – Berlin“, wobei die Ortsnamen keinen Augenblick darüber hinwegtäuschen können, daß die Terra incognita, die diese Prosa durchstreift, einzig unter der Schädeldecke zu finden ist: „Nirgends bin ich da außer in meinem Kopf.“ Die Dialeinwände hinter Hilka Nordhausen zeigen deutsche Schäferhunde und feiste Touristen, trinkende Männer und einen Lastwagen auf der Autobahn, der das schöne Wort „Ratio“ durch die Landschaft fährt – lauter Bilder dessen, was unentwegt so tut, als sei es die Realität, und hier plötzlich durch die Montage und Frau Nordhausens Prosa als einziges seltsames Konstrukt oder als die vor uns ausgeschüttete Spielzeugkiste irgendeines melancholischen Erfinders „aus dem Orbit“ (H. Nordhausen) erscheint: „Wir sind Künstler, und unsere Waffe ist der Photoapparat.“ „Photoapparat“ heißt hier: die Wirklichkeit nicht festhalten, sondern zum letzten irrealen Bild machen. „Waffe“ heißt, daß man sich der feindlichen Realität immer wieder entziehen muß – und keiner kann das so gut wie die Figuren in Hilka Nordhausens Texten. Niemand sollte das nur für eine nette Spielerei halten, auch wenn diese Show in einer Weise eigensinnig und poetisch-verschroben ist, daß sich der pflegeleichtere Vortragskünstler Kapielski oder der biedere Pseudo-Dadaist Castorf neiderfüllt alle zehn Finger nach solcher exzentrischer Schönheit lecken müssen. Hilka Nordhausens Statements sind zwar witzig, aber spätestens, wenn sie im Traum einer toten Freundin begegnen will oder das „tellergroße Loch im Gedächtnis“ beklagt, ist der Ernst nicht zu überhören: „Das Elend ist groß und mächtig. Dabei glimpflich davonzukommen, das ist die Arbeit.“ Peter Laudenbach
Hilka Nordhausen „Melonen für Bagdad“. 124 Seiten, 29,80 DM, Verlag Peter Engstler
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