piwik no script img

SanssouciVorschlag

■ Klassische Klezmer-Musik: Rubin & Horowitz

Klezmer, die traditionelle Tanz- und Hochzeitsmusik der jiddischsprachigen Juden Osteuropas, wird mit einigem Recht die einzig echte „Weltmusik“ genannt. Denn in ihrer vielhundertjährigen Geschichten hatten die fahrenden Musikanten (Klezmorim) des ostjüdischen Siedlungsgebietes zwischen Wilna und Odessa das Repertoire der Musikkulturen ihrer Gastgeberländer gar kräftig geplündert, daneben aber auch orientalisches Erbe bewahrt.

Armut und periodisch aufflackernde Verfolgung nötigten zwischen 1881 und 1914 mehr als ein Drittel aller Juden Osteuropas – darunter auch viele der besten Hochzeitsmusiker – zur Auswanderung in die Neue Welt. Den Rest erledigten die nazistischen Barbaren im Zweiten Weltkrieg. Doch während dadurch in Europa Klezmermusik nahezu zum Verstummen gebracht wurde, blühte sie, in der Alten Welt kaum zur Kenntnis genommen, jenseits des Großen Teichs weiter.

Erst als in den achtziger Jahren junge Musiker aus den jüdischen Communities Nordamerikas begannen, die Musik ihrer Vorväter neuen, gewitzten Interpretationen zu öffnen, wiedererwachte auch in Europa das Interesse an den melancholischen Klängen aus dem Shtetl. Einzelne Musiker wagten gar den Sprung zurück in die alte Heimat, um sich hier auf musikalische Spurensuche zu begeben. Zu ihnen zählen Joel Rubin (Klarinette) und Joshua Horowitz (Akkordeon und Tsimbl), die – selbst Nachfahren polnisch-russischer Juden – in ihren Bearbeitungen die alte Tradition der Klezmorim wieder aufleben lassen. Das Duo verbindet eine Reihe markanter Gemeinsamkeiten: Beide haben eine gründliche klassische Ausbildung auf ihren Instrumenten absolviert, ehe sie sich der Klezmermusik zuwandten. Beide verbinden darüber hinaus die musikalische Praxis mit profunder Kenntnis und tiefem Interesse an einer weiterführenden Erforschung der Geschichte der Klezmermusik. Während Rubin einer der letzten Schüler des späten Dave Tarras, einem der drei führenden Klezmer-Klarinettisten dieses Jahrhunderts war, spielt Horowitz auf einem von ihm liebevoll restaurierten, altertümlichen Knopfakkordeon eines galizischen Instrumentenbauers des 19. Jahrhunderts. Diese feste Verankerung in der Tradition mag das Phänomen erklären, daß sich die behutsamen Aktualisierungen alter Melodien aus dem Shtetl durch das Duo in Klangfarbe und Interpretation manchmal verblüffend annähern, was rare historische Aufnahmen früher Klezmorim vor dem Vergessen bewahrt haben. Von der feierlichen Begrüßung „dorbiden“ (Guten Tag) bis zum allerletzten „zay gezunt“ (Bleib gesund!), dem musikalischen Finale einer jeden jiddischen Hochzeit, von chassidischen Melodien bis zu ausgelassenen Tänzen wie Bulgars, Shers und Freylekhs spiegelt sich in der Musik von Rubin und Horowitz das bunte Völkergemisch des damaligen jüdischen Siedlungsgebietes im Zarenreich wider. Christoph Herrmann

Heute und am 1.4. um 20 Uhr erstmals in Berlin im Musikklub des Schauspielhauses am Gendarmenmarkt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen