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SanssouciVorschlag

■ Das Kabarett Widerha(r)ken in der Scheinbar

Mit der Fernbedienung kann man sich jedes Programm holen. Das Kabarett Widerha(r)ken schaltet sogar das Theaterpublikum per Knopfdruck ein. „Umschalten“ heißt das neue Programm des musikalischen Politkabaretts aus Siegen, das zur Zeit in der Scheinbar gastiert. Live dabeisein in Deutschland, wie es tagtäglich auf allen Fernsehkanälen krakeelt und sinniert.

Bernd Michael Genähr persifliert die kaltschnäuzige Ignoranz des Biedermanns und singt: „Wenn Skins einen Asylanten erschlagen, dann sag' ich, die haben's bestimmt nicht so gemeint.“ Und Christa Weigand spielt die doppelzüngige Fernsehtante auf Kindersendung. Die Kleinen sind völlig verroht und fuchteln mit Knarren rum; die Fernsehtante vor der Kamera zuckersüß, verlangt bei der Drehpause, daß das Kind im Rollstuhl aus der ersten Reihe verschwindet.

Die Realität ist brutal, Fernsehen viel brutaler. Bernd Michael Genähr, diesmal als Spießer im blauen Turnerdress, möchte seine Frau am liebsten noch einmal von der Haushaltsleiter stoßen, nur um ihren Unfall live und authentisch auf Video zu bannen. Das ist Reality-TV in seiner dumpfesten Gewalttätigkeit.

Und weiter geht's im Programm. Gesangseinlagen nach beliebten Melodien. Genähr/Weigand singen nach „Schuld war nur der Bossanova“ den Refrain „Schuld sind nur die Bilder aus Somalia, daß ich nicht essen kann“. Anstatt Somalia kann es auch Bosnien heißen. Betroffenheit ist eben übertragbar.

Für den kleinen Jupp, der Pseudokrupp hat, heißt es, frei nach dem Erlkönig: „Er ringt nach Luft, er bäumt sich auf, der Vater rennt im Dauerlauf.“ Allerdings sind die schüttelgereimten Pointen nur kurzlebig. Man lacht, weil sie an sich so doof sind.

Ins bunte Politpotpourri gehört auch die saftige Kritik an Deutschtümelei und Rassismus. Frau Lütsche Weizenhuber erhält bei der Weimar-Show „Deutsche Dichter und Denker“ für ihren Beitrag „Oberammergau darf nicht türkisch werden“ den „Tümel“-Preis. Für diese Nummer hat sich Christa Weigand natürlich ein Trachtentuch umgeworfen. Auch als deutsches Eintracht-Einheitsduo tragen die beiden Kabarettisten bayrisches Kostüm. Dabei wird dann das Wort „Neger“ wieder mal strapaziert, weil es so anschaulich demonstrieren kann, was rassistisch ist: „Was für den Neger die Ekstase, ist für das deutsche Eintrachtsduo die Stimmung.“

Die Show hat Temperament und Tempo, aber insgesamt fehlt es dann doch an Biß. Zu viele altbekannte Klischees wiederholen die KabarettistInnen, zwar bringen sie ein paar fiese Pointen, streifen die Themen des umfangreichen Programms aber doch nur an der Oberfläche. Schade eigentlich.

Schade eigentlich, wenn politisches Kabarett mit der Zwanghaftigkeit des Channelhoppers den Medienereignissen hinterhereilt. Petra Lüschow

„Umschalten“: vom 23.–25. April, um 21.00 Uhr, Scheinbar.

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