Sanssouci: Vorschlag
■ Bunker-Cruising: Ficken im Auftrag der Redaktion
RedakteurInnen kommen manchmal auf Ideen. Ob ich zum Cruising wolle, fragt die Dame von der taz, da soll's einen neuen Schwulentreffpunkt geben. Einziger Wermutstropfen: Ich müßte auch was drüber schreiben. Andererseits: Wann hat man schon mal die Gelegenheit, Lust und Arbeit miteinander zu verbinden?
Wichtig beim Cruising ist die Vorbereitung: Es geht nicht nur darum, Kondom, Gleitgel, Hausschlüssel und Umweltkarte irgendwo am Körper zu verstauen. Man muß auch auf sein Outfit achten. Am Tage kann man nämlich noch so geil ausschauen, in schwarzem T-Shirt und schwarzer Lederhose wirkt man nachts nur wie eine verdächtige Gestalt aus „Aktenzeichen XY“. Es hat schon seinen guten Grund, warum Schwule so gern weiße Levis 501 und knallorange Westen tragen. Von oben bis unten phosphoreszierend, fahre ich also bis Friedrichstraße, folge dem leuchtenden Pfad durch Berlins tote Mitte und stoße am Deutschen Theater auf den „Bunker“, in dessen Weltkriegsgemäuer zu DDR-Zeiten die hauptstädtische Kartoffelversorgung gewährleistet wurde. Auch nach der „Wende“ diente er als Lager für junges Gemüse: Die Techno-Kids sichern hier am Wochenende die Arbeitsplätze der Ohrenärzte.
Durch einen Vorgarten gelange ich in einen verfallenen Flachbau. Innendrin eine nette Bar, bißchen Neon, bißchen Schwarzlicht, bißchen Marmorgemuschel. Richtig schick und schräg, nur die Cruisingpartner fehlen. Ganze neun Kurzhaar-Homos lümmeln sich an der Theke oder in den Fifties-Sesseln, halten sich cool am Becks fest und scheinen allesamt den Barkeeper zu kennen. Die ihn nicht kennen, drehen sich auf der Türschwelle wieder um. Schade eigentlich. Denn Leuchttafeln mit S/M-Szenen, Ketten an der Decke und Ringe an der Theke geben immerhin einen Hinweis, daß man in dem schmalen Raum auch was anderes machen könnte, als blöd herumzusitzen. Nur die lateinischen Botschaften an den Wänden bleiben ein Rätsel. Keine Redaktion kann erwarten, daß man zum Cruising ein Wörterbuch mitschleppt.
Apropos Cruising. Wo kommt denn nun Mann an den Mann in der Bunkerbar? In der Toilette herrscht tote Hose. Der DJ schickt mich zurück – in den Vorgarten. Irgendwie habe ich mir das anders vorgestellt: An den herumgammelnden Kabeltrommeln kann man sich zwar gut anlehnen und im Bedarfsfall auch drauflegen, aber für die Anmache ist es hier viel zu hell. Es gibt nicht mal einen Busch, in den man sich verkriechen kann. Die Open-Air-Cruising-Bar, die am Märchenbrunnen oder im Tiergarten der Renner wäre, ist im Bunker zum bloßen PR-Gag mutiert. Aber wie sollte man den Berliner Homos eine neue Kneipe auch anders schmackhaft machen? Da stehe ich nun allein zwischen den Kabeltrommeln und grüble. „Hey“, pirscht sich einer der neun Gäste heran, lehnt sich neben mich und fragt: „Biste zum ersten Mal hier?“ – „Ja, dienstlich.“ – „Das sagen sie alle“, grinst er. Und was dann passiert, liebe taz-Redaktion, das paßt nun wirklich nicht in 70 Zeilen à 35 Anschläge. Micha Schulze
Gay-Open-Air-Cruising. Jeden Dienstag ab 22 Uhr im Bunker, Albrechtstraße, Ecke Reinhardtstraße in Mitte.
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