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■ Auswanderungswesen: Eine Ausstellung im Rathaus Spandau

Die Beweggründe des Kölner Bundesverwaltungsamts, eine Ausstellung über das Auswandern der Deutschen auf eine Reise durch die Rathäuser zu schicken, können nur erraten werden: Will man dem Behördengänger die Auswanderung ans Herz legen oder geht es um die Selbstdarstellung einer Dienststelle, die zuständig ist, wenn man im Begriff ist, sich den deutschen Paß an den Hut zu stecken? Die VerwalterInnen werden sich bestimmt etwas Hintersinniges gedacht haben – jedenfalls können diejenigen, denen die Auswanderung als Alternative zum Alltag in dieser unserer Republik verlockend erscheint, interessante Detailkenntnisse über die historischen und sozialen Aspekte des Themas erwerben. „Vom Reichskommissar für das Auswanderungswesen zum Bundesverwaltungsamt – Staatlicher Schutz für Auswanderer seit 120 Jahren“ ist der reißerische Titel der Ausstellung, die dieser Tage im Spandauer Rathaus zu Ende geht.

Wie in vielen Bereichen der Sozialpolitik erscheint auch die staatliche Auswandererfürsorge als Teil einer Geschichte hin zum Besseren. Der Gipfel des Fortschritts ist demnach das Bundesverwaltungsamt. Entsprechend schlüssig wird das Gezeigte in chronologischer Abfolge präsentiert: Fotos, Tabellen und Grafiken dokumentieren, daß sich seit Mitte des letzten Jahrhunderts, als die „Auswanderungslustigen“ wie Schafe zusammengepfercht auf dem Zwischendeck der Frachter in die Neue Welt gebracht wurden, vieles geändert hat. Unter erbärmlichen Bedingungen warteten sie oft wochenlang auf die Schiffspassage oder bis irgendein Betrüger sie um Hab und Gut gebracht hatte. Bald wurde der Ruf nach staatlicher Kontrolle laut: Seit 1851 konnten sich die Neuankömmlinge in einem sogenannten „Nachweisungsbüro“ an ehrliche Schiffsmakler und Logis-Geber vermitteln lassen. 1868 wird ein Reichskommissar eingesetzt, der dafür zu sorgen hat, daß die Schiffe, die größtenteils von den Haupthäfen Bremerhaven und Hamburg auslaufen, in tadellosem Zustand sind. Kirchenmänner mit langen Bärten gründen Vereine, deren Zweck es ist, den Auswanderern als letzten Heimatdienst den der Nächstenliebe zu erweisen. 1897 kommt ein Reichsgesetz zustande, das u.a. den Machenschaften der Mädchenhändler und betrügerischen Reeder ein Ende bereiten soll. Anfang des Jahrhunderts ermöglicht dann das Dampfschiff selbst in der dritten Klasse eine komfortable Überfahrt. Die Zwischendecks werden abgeschafft und die Bettdecken sind von nun an kariert. Ab 1924 entstehen mehrere Vorläuferbehörden der heutigen Auswanderungsstelle: Ihre Aufgabe bestand hauptsächlich in der Beratung der Auswanderer. Die hat mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ein Ende. Die Perfidie der NS-Auswanderungspolitik, die 1941 im generellen Ausreiseverbot für Juden gipfelte, hätte in dieser Ausstellung ruhig als zentraler Abschnitt behandelt werden können – als pervertierter Endpunkt staatlicher Sozialpolitik. Dafür wandte man sich ausführlich der Nachkriegszeit zu. Von 1946 bis 1960 verließen fast 1,5 Mio. Menschen Deutschland, über die Hälfte davon waren Flüchtlinge, die durch den Zweiten Weltkrieg heimatlos geworden waren.

Mit Informationen über die Tätigkeit der BVA schließt die Schau, deren interessanteste Teile jedoch abseits der Chronologie liegen. In den zwanziger Jahren etwa klärte die „Reichsstelle für deutsche Rückwanderung und Auswanderung“ Frauen über die Gefahren in der neuen Heimat auf. Demnach erwarteten die deutsche Frau die Tücken des Urwalds: das „Alleinsein im Walde“, das „Fehlen jeder Unterhaltung“, „Heimweh“ und die „Verzweiflung am Erfolg“. Trotzdem: Allein zwischen 1847 und 1914 wanderten über vier Millionen Deutsche aus. Ihre Motive waren stets dieselben – wirtschaftliche Not, staatliche Repression und die Sehnsüchte jener, die nichts mehr zu verlieren haben.

Die deutsche Auswandererbetreuung wird, laut Pressetext, „immer bedeutsamer“. Grund hierfür ist die „zunehmende internationale Mobilität“. Zu ergänzen wäre: Es muß nur die Richtung stimmen. Stephan Schurr

Spandauer Rathaus, Carl-Schurz-Straße 2–6. Auswanderungswillige wenden sich an das BVA, Postfach 680 169, 50728 Köln.

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