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SanssouciVorschlag

■ „Videoblues“ von Àrpád Sopsits

Böse Bilder: „Videoblues“ Foto: Verleih

Janos (Budapest) liebt seine Frau Judit, ebensotief aber seinen Bruder Gabor (Paris), der sich schon lange von Eva aushalten läßt. Gabor liebt das Gefühl, seine Schwägerin Judit möglicherweise zu lieben. Nach sieben Jahren des Schweigens ist sie für Gabor jedenfalls Anlaß genug, wieder Kontakt zu Janos' Familie zu suchen. Judit liebt ihren Sohn und würde gern mehr, nämlich endlich mit einem starken und aufrichtigen Mann leben.

Das ist zunächst einmal Tragödienstoff: Kain und Abel, „Romeo und Julia“, „Woyzeck“ oder auch nur „Die Wahlverwandtschaften“. Den jetzt 41jährigen ungarischen Regisseur Àrpád Sopsits verlangte es jedoch nach mehr, nach einer Brechung der archetypischen Konstellation durch ein Kunstwerk, das sich gleich zusätzlich selbst als „Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit“ reflektiert. Vor dem Zuschauer entfaltet sich das Rauschen des „Videoblues“: Statt sich zu treffen, schicken sich Janos und Gabor Filme von Frau, Kind, der Geliebten und sich selbst, Videos, die aufgenommen sind, während man sich küßt, auszieht, während man Videos aufnimmt und aufgenommene Videos anschaut. Gabor meuchelt die Geliebte nur zum Schein, kann aber mit dem Bild eines verzweifelten Heimat- und Familienlosen die rehäugige Psyche Judit nach Paris locken. Das Zeigen von Biographie mutiert allmählich zum gegenseitigen Zeihen von Schuld, die Distanz mutiert zur Distanzkeule – kurz, das Objektiv an der Videokamera verkommt zum Projektil. Ärgerlich an dem Ganzen ist dabei eigentlich nicht die zuverlässig dröge Zeichenhaftigkeit, mit der Budapest – „wie es ungezwungen verfällt“ – hübsch sepiabraun coloriert präsentiert wird, ärgerlich ist nicht eigentlich die penetrante Simulation von Laienvideo durch schwankende Kamerafahrten – so richtig ärgerlich und doch wieder erleuchtend ist die Naivität, mit der das Bild zum Fetisch, zum Tabu, zum Bösen an sich gemacht wird. Ausgerechnet die sterbenskranke Mutter der Brüder ist es, die – als archaische Hüterin der Werte ganz in der Tradition ungarischen Kinos stehend – kein Bild von sich machen lassen will. Doch sie stirbt, Janos, der den Videovirus längst in sich trägt, verliert Judit, brennt sein Haus nieder und geht schließlich in Gabors Falle, dessen letzter Kick der Selbstmord vor laufender Kamera sein wird. Die Etüde über die endlose Reproduktion vergangener Gefühle und Situationen ist aufgepumpt zum Thriller über die Familie im Medienzeitalter. Ein untauglicher Versuch, der tatsächlich Blues hinterläßt. Anke Westphal

„Videoblues“, Ungarn 1992, Regie: Àrpád Sopsits, 100 Min., O.m.engl.U., vom 5. bis 18.8. im FSK

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