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SanssouciVorschlag

■ Alan Rudolph Retrospektive

Journalisten, Maler, mysteriöse Fremde sind die Protagonisten von Alan Rudolphs Filmen. Ihnen winkt ein gesellschaftlicher Aufstieg, den sie jedoch nie wirklich erreichen. Sie leben als Bohemiens in einem seltsam zeitlosen Schwebezustand. Vor allem den frühen Filmen merkt man den Einfluß von Robert Altmann noch deutlich an, speziell seinem ersten Spielfilm, „Welcome to L.A.“. Ein glückloser Songwriter, der unmittelbar einem Kerouac-Roman entsprungen sein könnte und sich Whiskey- trinkend durch Betten des Viertels wühlt.

Der Film „Tödliche Gedanken“ (1991) gehört mit Sicherheit zu den schlechteren Filmen von Alan Rudolph. Das mag zum Teil daran liegen, daß es eine Auftragsarbeit war. Eine holprige Fabel um zwei Freundinnen, Cynthia und Joyce, die in einen Mord verstrickt werden. Das Opfer ist Joyce' Ehemann, ein infantiles, aber gewalttätiges Macho-Scheusal (Bruce Willis), dem außer seiner Mutter eigentlich niemand eine Träne nachweint. Die ganze Geschichte entwickelt sich in langen Rückblenden aus den Aussagen, die Cynthia (Demi Moore) bei der Polizei zu Protokoll gibt. Die eigentliche Mordszene wird dabei zunächst ausgespart, so daß die Schuldfrage bis zum Schluß offenbleibt. „Tödliche Gedanken“ taugt weder als spannendes Whodunit noch als raffinierter Psychothriller.

So könnte man ihn getrost vergessen, wäre da nicht der subversive Eigensinn des Regisseurs, der wie ein Irrlicht durch die mißglückte Geschichte flackert und die geordnete Kinoerzählung torpediert. Rudolph sagt selbst von seinen Filmen, sie seien nicht glatt genug, um amerikanisch, nicht ernsthaft genug, um europäisch zu sein. Tatsächlich hat er mit seinen bisherigen Arbeiten – allen voran „The Moderns“ (1988), aber auch mit „Made In Heaven“ (1987) und „Choose Me“ (1984) Filme gedreht, die die Unterhaltungs-Routinen des Hollywood-Kinos gezielt unterlaufen, ohne dabei der programmatischen Bedeutsamkeit des europäischen Films zu verfallen. Eine Haltung, die ihm nicht unbedingt die Liebe der amerikanischen Film-Companies eingetragen hat. Um so erstaunlicher, daß er trotz aller Flops weiter produzieren kann.

Dabei ist es genau dieses Dilemma zwischen Kommerz und Eigensinn, das Rudolphs Kino interessant macht. Das traditionelle Gerüst des Erzählkinos wird beibehalten, doch werden die Akzente anders gesetzt. Abweichung meint meistens Abschweifung, der Seitenblick auf die Nebensächlichkeit. Wenn Cynthia in „Tödliche Gedanken“ die Blutspuren aus dem Lieferwagen wischt, dann sieht man im Hintergrund ihre Tochter im Kinderwagen sitzen. Nicht als symbolische Überhöhung, schlicht der Alltag einer Mutter, die auf ihr Kind aufpaßt. Mit dem Sinn für die Nebenlinien der Handlung korrespondieren die ironischen Brechungen, die für Rudolphs Filme typisch sind. Selbst in dem eher düster angelegten „Tödliche Gedanken“ schlägt Rudolphs eigentümlicher Humor gelegentlich durch. Etwa wenn sich Cynthia mit ihrem Mann darüber streitet, mit welchem Waschmittel die Blutflecken auf ihrem T-Shirt am besten herausgewaschen werden können. Die Komik entsteht zu einem wesentlichen Teil aus der schieren Banalität der Situation, die sich beiläufig aus der Mordtragödie ergibt.

Rudolph montiert seine Filme gelegentlich mit einer assoziativen Nonchalance, die in höchstem Maße verblüffend ist. Wenn Joyce und Cynthia auf der Polizeiwache über ihre Zukunftsängste reden, wird ihrem Gespräch für einen Sekundenbruchteil eine Einstellung unterschnitten, die die Kinder unter dem Weihnachtsbaum zeigt. Ähnlich frappierend geht Rudolph mit den Nahtstellen zwischen den Szenen im Polizeirevier und den Rückblenden um. Bedient er sich anfangs der Slow-Motion, um an die Erinnerung anzuknüpfen, so werden die Übergänge gegen Ende des Films immer unvermittelter. Die Rhetorik tritt hinter das Erzählen zurück.

Am deutlichsten aber zeigt sich Rudolphs Handschrift in der Kameraarbeit. Umherschweifend, mal konzentriert, mal verspielt entwickelt die Kamera eine irritierende Eigenständigkeit fern von jeder lokalisierbaren Perspektive der Protagonisten. So kann es passieren, daß die Kamera während eines Dialoges unvermittelt auf einem Bild an der Wand verharrt. Rudolphs vielleicht schönste Abschweifung findet sich in seinem grandiosen Vexierstück „The Moderns“. In dem Film, der sich vordergründig als Historienstück über die Pariser Boheme der zwanziger Jahre geriert, entfernt sich die Kamera einmal wie geistesabwesend aus der historischen Kulisse, um am Ende ihrer Fahrt auf ein zeitgenössisches Szenepublikum zu stoßen. Rudolph interessiert sich nicht für Illusions-Kino. „Wir leben in gefälschten Zeiten“, hat er in einem Interview gesagt. Im Rahmen der Retrospektive laufen im fsk-Kino außer „Tödliche Gedanken“ in den nächsten Wochen auch noch „Trouble In Mind“ (1985), „Roadie“ (1979) und Rudolphs neueste Arbeit „Equinox“. Martin Muser

Alan Rudolph Retrospektive, bis zum 1. September im fsk, Wiener Straße 20, Tel. 611 70 10

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