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SanssouciVorschlag

■ Wie kommt der Zucker in den Hut? Ein süßer Besuch im Berliner Zuckermuseum

Was wäre das Leben ohne Zucker? Ohne das versonnene Rühren in der Kaffeetasse, ohne das Lippenlecken nach Elses Sahnecremetörtchen und ohne den sanften Dusel eines Likörchens danach. Die Welt wäre unbestritten ärmer. Sie wäre gleichsam noch bitterer, als sie es ohnehin schon ist.

Aber mal ganz im Ernst: Das Leben wäre gar keins – und wir auch nicht, um davon zu kosten. Ich sage nur: Photosynthese! Nein? Fructose, Glukose, Saccharose?! Auch nicht? Biochemie? Gut, lassen wir das. Wo sollen wir anfangen?

Am besten ein paar Jahrtausende vor Christus, irgendwo im heutigen Indonesien oder Neu-Kaledonien, von dort über Indien bis in die arabischen Länder. Diesen Weg ungefähr nahm das Zuckerrohr. Erst die Kreuzritter brachten die Kunde und bald auch die Pflanze nach Europa, Kolumbus schließlich nahm sie zusammen mit anderen Nutzplanzen auf seine zweite westindische Reise mit und machte sie dort – wie es so schön heißt – heimisch.

Ganz und gar nicht heimisch fühlten sich dagegen die Sklaven, von denen immerhin 80 Prozent im Zuckeranbau drangsaliert wurden (und „nur“ 20 Prozent auf den Baumwoll- und Tabakfeldern). Und das alles für die herrschaftlichen Gelüste, für das begehrte und sündhaft teure weiße Gold, später auch Kolonialzucker genannt.

Bis, ja, bis eines Tages ein gewisser Andreas Sigismund Markgraf unter seinem Mikroskop (das er übrigens als erster für die Chemie nutzte) ein „Salz“ entdeckte, das sich in nichts von dem „wahren, vollkommenen Zucker“ unterschied. Gefunden hatte er es, man glaubt es kaum, in der gänzlich unverdächtigen Runkelrübe. Herrlich süße Zeiten für jedermann konnten anbrechen, aber freilich erst nachdem Markgrafs Schüler Franz Carl Achard, ausgestattet mit einem königlichen Crédit seiner Majestät Friedrich Wilhelms III., die erste Fabrik zur massenhaften Gewinnung des süchtig machenden Stoffes errichtete. Die alsbald wieder abbrannte...

Doch bekanntlich schritt die Industriegeschichte im 19. Jahrhundert unaufhaltbar voran, so auch in den Zuckerraffinerien. Was zuvor noch in köstlichen Schatzkästlein aus Silber verschlossen wurde und nur in homöopathischer Dosierung in die großbürgerliche Mokkatasse gelangte, fand sich kaum hundert Jahre später gleich pfund- und kiloweise in den beliebten Keramik-Gefäßen eines jeden Arbeiterhaushaltes.

Die ständige Ausstellung des Berliner Zuckermuseums präsentiert neben dem ganzen wissenschaftlichen und technischen Drumherum auch eine Kulturgeschichte des Süßstoffes. Und hier geht es beileibe nicht nur um den Wohlgeschmack, sondern auch um die „Nebenprodukte“ wie Sklavenwirtschaft und – Zyklon B. Eine Vitrine mit einer Büchse nebst Dokumenten aus Auschwitz erklärt, wie Rückstände aus der Melasse-Brennerei zur Herstellung des Gases verwendet wurden.

Aber auch harmlosere Fragen werden rückhaltlos beantwortet, zum Beispiel wie der Zucker in seinen Hut kommt. Die Verpackung erweist der Herstellung eine nostalgische Referenz. Denn das Verfahren ist uralt und längst außer Gebrauch, man hatte es im 13. Jahrhundert den Persern abgeguckt: Aus einer Presse fließt der Saft des Rohrs oder der Rüben in einen Bottich, während der eingedickte Sirup in Formen gefüllt wird, in denen er kristallisiert, wobei sich die Melasse durch eine Öffnung absetzt und...

Aber was red' ich – wer wissen will, wie's weitergeht, schaue sich das Ganze gefälligst selbst an. Thomas Fechner-Smarsly

Zuckermuseum Berlin. Amrumer Straße 32. Geöffnet Mo.–Mi. 9–17 und So. 11–18 Uhr. Ein schöner und bilderreicher Katalog kostet bittersüße 20 DM.

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