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SanssouciVorschlag

■ Tanztheater aus Israel im Podewil: Amos Hetz und Ruth Ziv Ayal

So kann's gehen, wenn die Schwerkraft zuschlägt. Foto: Podewil

Ein Extrabonbon präsentieren die diesjährigen Jüdischen Kulturtage unter dem eher feierlich-nichtssagenden Titel „Poesie der Stille – Kräfte des Aufbruchs“. Vorgestellt werden aus dem facettenreichen, zeitgenössischen Tanz Israels zwei verschiedene Generationen aus den avantgardistischen Tanzlaboratorien: Für die „Poesie der Stille“ sind Amos Hetz und die Choreographin Ruth Ziv Ayal verantwortlich: Hetz zeigte eine Lecture Demonstration und einen Solotanzabend, Ziv Ayal gastierte mit ihrer Tanzgruppe im Podewil. Ob die junge Choreographengeneration die „Kräfte des Aufbruchs“ (oder doch eher die des Zusammenbruchs) mobilisiert, wird an drei verschiedenen Gruppen heute abend zu prüfen sein.

„Touching the Wind“ heißt einer von Amos Hetz' Solotänzen. Doch ob nun „Touching the Wind“, „High Tide“ oder „Low Tide“: Amos Hetz' meditativ in sich gekehrte Tänze unterscheiden sich in ihrem Bewegungsmaterial kaum voneinander. Der Zuschauer erlebt etwas Merkwürdiges: Völlig ahnungslos, wovon der Tanz, den man gerade sieht, handeln soll, beginnt man einigermaßen fasziniert zu assoziieren: Luft, Hauch, Wind. Ein völlig abstrakter Tanz (wie sollte man auch den Wind nachahmen) – stellt durch die Bewegung des menschlichen Körpers die Energie eines Naturelementes dar. „Nicht die Emotion macht die Bewegung, sondern die Bewegung macht die Emotion“, sagt Amos Hetz während der Lecture Demonstration – und wenn man ihm beim Tanzen zusieht, beginnt man zu verstehen, was er damit meint. Der hierzulande verbreitete Gedanke, daß man durch Bewegungen seine eigenen Gefühle ausdrückt, ist seinem Tanzverständnis völlig fremd. Ebenso die Auffassung des amerikanischen Modern Dance: Dance is motion, not emotion. Amos Hetz sprengt die klassischen Vorstellungen ebenso selbstverständlich wie die modernen Raster, und das liegt nicht zuletzt an seiner Biographie. Er hat neben der Malerei die Bewegungstechnik von Moshe Feldenkrais und die Alexander-Technik studiert: Also Körpertherapieformen und nicht Tanzstile. Er versteht sich als Bewegungsforscher und -komponist, nicht als Choreograph. Sein Tanz läßt sich am ehesten mit dem asiatischen Tai Chi vergleichen.

Völlig anders und doch im Geiste verwandt ist Ruth Ziv Ayals „Gravity“, die sechste von insgesamt sieben Erforschungen des menschlichen Gehens. Drei Tänzerinnen und drei Tänzer führen die Mühen (und Leichtigkeiten) der Schwerkraft vor. Mit schmierigen, grauen Lappen und Plastikfolie am Rumpf und Kopf verbunden, sind sie in eine Materialmischung gekleidet, die Archaisches und Futuristisches ver- und um die Körper herumbindet. So wird hier der menschliche Körper akzentuiert, der sich seit der Steinzeit nicht nennenswert verändert hat und mit dem wir inzwischen durch eine Moderne traben, in der das Körperliche anachronistisch geworden ist. Drei aus Drahtseil konstruierte Baumruinen begrenzen und prägen die Bühne. Es beginnt spröde, reduziert: Die sechs Tänzer, in weite Kutten gehüllt und mit tief über den Kopf gezogenen Kapuzen, laufen unaufhörlich im Kreise und strapazieren die Geduld des Zuschauers ordentlich. Mit ins Leere laufenden Blicken drehen sie eine Runde nach der anderen, stürzen manchmal, gefrieren zu verzerrten Skulpturen und nehmen ihren Gang wieder auf. Doch die Zeit, die sich die Choerographin läßt, lohnt sich, denn man wird sensibilisiert für die poetisch-absurden Bilder, die zum Schluß ins völlig Groteske abstürzen. Bilder, in denen die Tänzer sich mit heftig kreisenden Armbewegungen wie Maschinen selbst in Gang setzen – jeder Schritt ein ungeheurer Kraftaufwand. Aufgezogene Spielzeugpuppen, die irre auf der Bühne umherkreiseln. Ein zersprengter, desolater Haufen mit viel Lust an der Albernheit, der schließlich zum leblosen Fleischberg aufgeschichtet, neue Perspektiven eröffnet: Die Körper verschmelzen zur Masse Mensch, aus dem die Augen als letztes Lebendiges, einer Person zugehöriges, herausquellen.

Nach der Praxis die Theorie: „Vom Feuer der Bewegung“ (diese Titel! Wahnsinn!!) handelte eine Podiusmdiskussion. Doch wer die übliche, unendlich dröge Berliner Talk-Runde erwartete, die im Tanz ebenso wie im Theater kaum mehr von einem interessierten Publikum, sondern nur mehr von beruflich dazu Verdammten erlitten wird, sah sich auf das angenehmste enttäuscht. Amos Hetz verweigert nicht nur in seinem Tanz den schnellen Konsum, sondern auch in seinen Reden über den Tanz. Statt knackiger Standardfloskeln eigenwillige Ausflüge in die Labyrinthe der Lebensphilosophie. Gleiches gilt für Ruth Ziv Ayal, bei der das Sprechen selber angewandte Lebensweisheit ist. Sie rhythmisiert und wiederholt ihre eigenen Sätze und vermittelt vor jeder anderen Aussage, daß tatsächlich genug Zeit zum Miteinanderreden vorhanden ist. Tanzende Diskussionen, sprechende Tänze. Michaela Schlagenwerth

Noa Wertheim, Inbal Pinto und Nao Dar heute um 20 Uhr im Podewil, Klosterstraße.

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