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SanssouciNachschlag

■ The Murder of Sherlock Holmes in der Akademie der Künste

Eine Laterne verlischt. Ein schrecklicher Schrei gellt durch die Dunkelheit. In dem viktorianischen Bordell, das nun schon vier Mitarbeiterinnen auf grausige Weise verloren hat, stolpert man an allen Ecken über Koffer und Hutschachteln mit blutigen Leichenteilen. Und so entsinnt sich Besitzer Sweller der Funktion des Theaters als einer moralischen Anstalt und läßt ein Stück aufführen, das dem Publikum jede Lust zum Anklagen nehmen soll.

Detektive brauchen Verbrechen. „There are no crimes and no criminals these days“, klagt Sherlock Holmes, während Dr. Watson sich bemüht, den langen, sensiblen Fingern seines Freundes das Spritzbesteck zu entreißen und statt dessen ihm seine Geige zu reichen. Doch auch Bach kann den scharfgeschliffnen Geist nicht beschäftigen. Dann aber überschlagen sich die Ereignisse, und Holmes und Watson jagen mit Temperament und Tempo durch den Londoner Nebel, um Professor Moriarty zu fangen, den größten Verbrecher der Welt. Mit schwarzem Humor, Musik und Slapstick stellt das TNT Theatre London die Faszination des Verbrechens dar. Das Stück steckt voller witziger Anspielungen auf den legendären Jack the Ripper, dessen Morde nie aufgeklärt wurden. Die Mischung von Ernst und Komik ist charakteristisch für die Stücke der 1980 gegründeten Truppe. Sie hat ihren Hauptstützpunkt in Bristol, ist aber ständig unterwegs – sei es, um Theaterworkshops auf den äußeren Hebriden abzuhalten oder Tourneen durch West- und Osteuropa, die USA und Japan zu unternehmen. Das neue Stück entstand in Zusammenarbeit mit der American Drama Group Europe in München, einer Gruppe, die schon in 18 Ländern der Welt aufgetreten ist. Für derart internationales Theater könnte kein Stoff geeigneter sein als Sherlock Holmes' Abenteuer: „Der Detektiv“, erklärt Paul Stebbings vom TNT Theatre, der Regisseur des neuen Stücks, „ist der Welterklärer der Moderne.“ An rätselhaften Verbrechen fehlt es dem Stück nicht: „Nobody could complain about a lack of victims“, bemerkt der Bordellinhaber, bevor er sich mit karierter Mütze und Pfeife wieder in den Mastermind verwandelt. Nur vier (männliche) Schauspieler spielen in „The Murder of Sherlock Holmes“ 25 Rollen. Wirkungsvolle Reduktion der Mittel bestimmt auch das Bühnenbild: Zum Trocknen aufgehängte Bettwäsche wird zu Fenstervorhängen, eine Zinkwanne zum Themseboot und ein Laken gar zum Felsen an den Reichenbachfällen, wo Holmes den letzten großen Kampf mit Moriarty ausficht. Am Ende tritt die wahre Identität des Superverbrechers zutage, und auch der Bordellmörder überführt sich selbst. Wie in allen guten Detektivgeschichten sind es die, die man am wenigsten verdächtigt hätte. Miriam Hoffmeyer

Bis 10. 12. täglich um 10.30 und 20 Uhr, Hanseatenweg 10

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