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SanssouciVorschlag

■ Amphitryon. Kleist. - KOOP im Theater am Halleschen Ufer / Vorschlag * Duras' "Die Krankheit Tod" - Performance im Podewil

Tim Grobe und Matthias Matschke Foto: Dirk Bleicker

Amphitryons Diener Sosias schleicht mit einer Leuchtstoffröhre in der Hand durch die Nacht, um Alkmene die Ankunft ihres Gatten aus der Schlacht anzukündigen. Merkur baut Mikrofone auf und ab, und über der ansonsten requisitenfreien Bühne (Thilo Reuther) flimmern drei Monitore. Nicht in Theben spielt dieser Kleistsche „Amphitryon“, sondern vielleicht in einem unterirdischen Aufnahmestudio. Nur die Protagonisten wirken mit: Jupiter und Merkur, Alkmene, Amphitryon und Sosias. Kleist skelettiert, mit kurzen, apokalyptischen Texten aus der Bibel sowie von Heiner Müller und Leonardo da Vinci versetzt, vorgetragen von Männern mit Strahlenschutzbrillen: eine Amphitryon- Maschine. Das Ensemble, das dies im Theater am Halleschen Ufer zeigt, nennt sich programmatisch KOOP – Koop wie Kooperation. In der ersten Produktion kooperiert die Kleistsche Geschichte vom Wahrnehmungszweifel mit Assoziationen aus unserem technischen Jahrhundert. Und aus dem Gott Jupiter, der schon vor dem Feldherrn in dessen Haus gekommen ist und die aufgesparte Liebe der Gattin eingeheimst hat, ist ein Star geworden: Mit Amerikanismen versetzte Abschiedsworte sülzt er nach der Liebesnacht ins Mikrofon. Die Welt: ein Medienereignis – mal düster, mal kitschig.

Nicht göttliche Verwandlungskunst trübt Alkmenes Auge, sondern ihr eigener Mädchentraum. Beim Showdown, als sie entscheiden soll, wen sie für ihren Gatten hält, treten die jeweils Sprechenden ans Mikrofon wie vor die Kamera. Ein Feedback erhalten sie nicht, die Monitore bleiben schwarz. Der Mensch ist ein Werkzeug der Technik, was bei der Premiere durch einige Pannen mit verwickelten Mikrofonkabeln zusätzlich sinnfällig wurde. Insgesamt verließ sich Regisseur Johannes Grebert aber noch zuwenig auf sein doch sehr überzeugendes Konzept. Sosias darf wie eh und je burlesk sein, da wollte man auf ein bißchen Kleistsches Lustspiel dann doch nicht verzichten. Auch fehlen im ansonsten akkuraten Spiel noch ein paar Volt. Die Amphitryon- Maschine schiebt sich manchmal mit allzu beschaulichem Tempo voran. Und Alkmene ist nicht wirklich ein Teenie, eher Kindfrau. Und die Monitore sind bisher kaum mehr als eine Geste: Was da flimmert, ist leider nicht zu erkennen. Petra Kohse

Noch heute und morgen, 20 Uhr, KOOP-Theater im Theater am Halleschen Ufer, Kreuzberg.

VorschlagDuras' „Die Krankheit Tod“ – Performance im Podewil

Der Mann und die Frau haben einen seltsamen Pakt geschlossen: Sechs Nächte lang soll sie bei ihm schlafen, während er ihr dabei zusieht – gegen Bezahlung, versteht sich, denn „man muß die Frauen bezahlen, damit sie die Männer davor bewahren zu sterben, wahnsinnig zu werden“. In Marguerite Duras' 1982 erschienenem Roman „Die Krankheit Tod“ sind die Rollen nur scheinbar verteilt. Der Mann, unfähig zur Liebe, scheitert letztendlich an der unbedingten Bereitwilligkeit seiner Partnerin, sich ihm zu zeigen.

„Hinlegen, bitte“: bei der Performance, die Helena Waldmann mit Kiri McGuigan aus dieser Geschichte entwickelt hat, ist die ungewöhnliche Perspektive Programm. Von unten schaut das Publikum auf eine Art Laufsteg aus transparentem Plastik. Diese Bühne gehört in den folgenden fünfzig Minuten der Tänzerin Kiri McGuigan. Zögerlich rollt ihr Körper auf die Plane, giftig blaue und leuchtend rote Haufen einer gallertartigen Masse glitzern im Scheinwerferlicht. Die Plastikfolie wirkt wie ein milchiger Schleier, hinter dem schemenhaft Arme, Beine, Brüste, Haare auftauchen und wieder verschwinden. Bewegungen werden Bilder, und Bilder geraten in Bewegung. Kiri McGuigan windet sich – unendlich langsam, dann zuckt sie plötzlich, wie von Krämpfen geschüttelt, zusammen, bewegt sich wie ein Einzeller unterm Mikroskop, die Haare wirr um den Kopf. Das Haupt der Medusa. Aus dem Off spricht eine Stimme, McGuigans Stimme, Sätze wie in Stein gemeißelt, unterlegt mit minimalistischer Musik, als hätte Laurie Anderson den Soundtrak geschrieben. Dann ist es für lange Augenblicke völlig still.

„Nachts, wenn dich dein Geschlecht weckt“ – eine Geschichte, die so beginnt, endet selten im Guten. Das Publikum hat längst die Rolle des hier unsichtbaren Mannes übernommen, des Voyeurs. Und wird zum eigentlichen Opfer, denn: Sich zeigen ist kein Akt der Schwäche. Schwach ist, wer nicht nehmen kann. Je mehr McGuigan sich in der Gelatine wälzt, desto stärker wird der Eindruck, ein abstraktes Gemälde vor Augen zu haben, eine der Landschaften von Emil Schuhmacher oder Fred Thieler. Am Ende hat die „Schlafende“ die sieben Meter lange Plastikbahn einmal durchquert. Und geht einfach ab. Ulrich Clewing

Noch heute und morgen, 22 Uhr, Podewil, Klosterstraße 68–70, Mitte.

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