Sanssouci: Vorschlag
■ Philip Boa holt mit zwei Pop-meets-Metal-Bands zum Doppelschlag im Huxley's aus
Endlich gibt er sich wieder die Ehre! Der große, ewig verkannte, ewig mißverstandene Philip Boa. Das gleich zweimal, was will fan mehr, zum einen mit seinem Voodooclub, dann mit seiner jüngsten Kreation Voodoocult, einem Metalprojekt von Boas Gnaden. Dieses ist hochkarätig besetzt – sind doch Kreators Mille und Ex-Slayers Dave Lombardo mit von dieser Partie, auf der sich Boa mal wieder ehrlich und erdig geben möchte. Gegen das „Zurück in die Zukunft“, die bei Boa ja immer die Samplemaschine war.
Mit dieser stieg er zum einsamen Siegfried in der deutschen Poplandschaft auf, machte Oboen, Klarinetten u.ä. Instrumente per Band zum Popsalon und perfektionierte darüber hinaus mit unbändigem Einsatz seinen Dilettantismus. Dabei schoß er leider Gottes oft genug übers Ziel hinaus, leistete sich nach seinen – zu damaligen Zeiten (85/86) ziemlich einzigartigen – ersten Platten einige Klopfer und nahm sich mit aller Vehemenz selbst auseinander. Manchmal stotternd und stammelnd, oft unlustig, aber immer mit einer Arroganz und dümmlichen Borniertheit, die – kaum noch als medienwirksame Selbstinszenierung zu begreifen, höchst lächerlich wirkte, gar schiere Verzweiflung auslöste. So lief Boa mit Stockhausen über dessen Haus und Stein, beeindruckte mit wahrlich tiefgründigen Kenntnissen über Zwölftonmusik und war nebenbei immer in der Lage, unwissenden Pop- Journalisten zu erklären, wer Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek sind.
Ähnlich sein Verfolgungswahn nach seinem Wechsel zur Industrie, der ihn allzu oft das Image des Verräters halluzinieren ließ: Der unbequeme Denker und Lenker, der den Gang zur Industrie nicht scheute und dafür mehr Haue bekam, als ihm seiner Meinung nach zustand. Daß er bei so viel Schläue und Unverstandensein nicht seinen ganz eigenen Untergeher fabrizierte, lag und liegt einzig und allein an seinen Platten, die, bei allen peinlichen Ausflügen in andere Bereiche, immer ein paar sehr gute Pop-Perlchen aufreihten, durch Boas wohldosierte Dramatik und das piepsig-unbedarfte Stimmchen Pia Lunds noch den zusätzlichen Schmelz erhielten. Das ist auch heut noch so, in einer Zeit, in der Boa die ganz logischen Ausflüge in Dance und Techno-Bereiche macht, sich keiner mehr an ihm reiben mag (da kann der Mann noch so oft seine Hände über die unerbittlich aufnehmenden Mikros halten!) und seine Poster in Kinderzimmern direkt neben denen von Take That hängen. Annie Boa flys the lovebomber, heute abend, an dem bestimmt ein paar ältere Haudegen auch wieder ein, zwei Bierbecher fliegen lassen, woraufhin bestimmt alle mal wieder „so richtig scheiße“ sind. Morgen dann ganz voodooculting, hart und metallen. Gerrit Bartels
21.4.: Boa + Voodooclub, und 22.4.: Voodoocult, beide Konzerte in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108–114, Neukölln.
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