Sanssouci: Vorschlag
■ Dominantes Cello: Heather Nova im Loft / 123 Mal Menschen: Ein Hörfest im SFB
Was ist das für ein Leben! Auch Heather Nova, eine der vielen singenden und songwritenden grande dames der jüngeren Rock-Society, dürfte sich diese Frage öfter gestellt haben. Ihre Biographie berichtet von einem beneidenswerten Heimatort auf den Bermudas mit Surf- wie Sunshine-Freuden und einem Hippie-Elternhaus, einer gesunden und natürlichen Idylle, die für mentale love, peace and happiness sorgte. Wenn jemand meint, in dieser Umgebung die Gitarre in die Hand nehmen und Musik machen zu müssen, dann kann eigentlich nur heiterer luftig-frischer Surf-Sound oder gegen alle Hippie-Genügsamkeiten aufbegehrender Punk oder Hardcore herauskommen.
Doch das Leben schreibt eben andere Geschichten. Die Bermudas waren für Heather Nova eben nicht das Ende aller Dinge. In der Ferne setzte es die ersten Hiebe, entstanden Risse und Nachdenklichkeiten, die Heather Nova auf ihren beiden Alben nun nicht in rriot grrl-mäßige Sack- und Asche-Hauereien ummünzt, sondern in eine ziemlich ernste, voll auskomponierte, schwer nach Kunstgewerbe duftende Rockarbeit. Von ihrem ersten Werk „Glowstars“ wollte außer den rührigen Menschen des Big-Cat-Labels niemand etwas wissen, doch das zweite gelangte, nicht zuletzt wegen mancher Tori-Amos- oder Li-Phair-Manien in allerlei Ohren. Auf „Blow“ werden nun von Heather Nova die Erfahrungen und Kämpfe eines – oberflächlich gesehen – gar nicht so schweren Daseins abgearbeitet. Folglich spielt das crazy little thing called love die große, zart-spinnerte Hauptrolle, wird aber auch die Unerklärlichkeit für das musikalische Schaffen mitgeboten: „Feels good, feels like poetry, don't ask me to explain.“
Heather Nova bemüht dafür ein rührendes Pathos, Schluchzen in Taschentücher inklusive, vor allem aber ein sehr dominantes, greinendes Cello, das durch die meisten Songs führt. Und sie braucht vielleicht auch ein immer andächtig lauschendes Publikum, denn „Blow“ wurde nicht im Studio eingespielt, sondern live aufgenommen. Darüber hinaus besitzt sie ein mehr als mächtiges Organ, das sich elegant an alle möglichen postpubertären Schmerzgrenzen herantastet, dem es aber ebenso souverän gelingt, die Stimmlagen einer Kate Bush, einer Patti Smith oder einer Sinead O'Connor auszutarieren. Gerrit Bartels
Heather Nova, 26.4., 20.30 Uhr, Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg.
Vorschlag123 Mal Menschen: Ein Hörfest im SFB
Ob es einem nun paßt oder nicht: Immer wieder kann man die überraschende Erfahrung machen, daß auch Institutionen den Mumm zur Offenheit haben und daß chaotische Verspieltheit auch in ellenlangen Bürofluren eine Überlebenschance hat. So könnte man das SFB-Experiment „123 (sprich: eins, zwei, drei) Mal Menschen“ als den Traum von einer nicht-normierten, freien, guten Hörwelt sehen. Im ideell-finanziellen Verbund mit dem „X 94“-Projekt der Berliner Akademie der Künste (die die Drittellast des 28.000-DM-Batzens trägt) wandte sich Hörspielchef Manfred Mixner an die Kinder der Welt in dieser Stadt. Rief sie mit Plakaten von ihren Ausbildungsstellen, Schulen, Lieblingskneipen zu einem Mammutcasting ins Funkhaus. Zensierende Auswahlkriterien hat es dabei nicht gegeben: Alle sind dabei. Im Chor oder mit kleinen Auftritten.
So setzt sich die verspielte Vision eines „Berlin, citta aperta“ – mauerlos, zügellos und thematisch offen – heute abend für kurze Zeit zu einem Hörbild zusammen. Ein aufgekratzter Haufen von etwa 100 Youngsters zwischen zwölf und Anfang zwanzig tritt an zu einer Multi-Kulti-Variety-Show. Gespickt mit Lieblingstexten, eigenen Gedichten, kleinen Stories aus aller Welt, in denen die chinesische Mär vom faulen Mann neben Amirs Flucht aus Serbien Platz hat. Keiner der jungen Gäste spricht (aus Höflichkeit?) vom Fremdenhaß. Statt dessen wimmelt es von Liebe, romantischer Naturerfahrung, Reisen und Tanz.
Auch musikalisch stehen die Kids für ihr Programm gerade: Aus mitgebrachten Lieblingstapes komponierte Martin Daske einen Soundtrack. Chorische Einlagen zwischen den Text-Nummern erzählen von Herkunft, Wünschen und Traumländern der bunten Mischung. Dazwischen: schillernde Lieblingswort-Listen von „himmelrosa“ bis „Pistazieneis“. Ein haarfeines Konzeptionsnetz hält dieses Gewusel zusammen: Die Mythen der Welt – Schöpfung, Liebe, Ewigkeit – gliedern und verbinden das babylonische Sprachmosaik.
Wenn das Ganze für Insider nach „Jandl revisited“ riecht, hallt darin der SFB-Arbeitstitel nach. „Fünf Mal Menschen“ heißt ein rasanter Biographien-Querschnitt aus Mayhöfer/Jandlscher Hand. Infolge der explosiven Mitarbeit des jungen Teams aber erklingt das bahnbrechende Hörexperiment jetzt bloß noch im Titel als Hommage. Zwar sorgten die SFB-Profis für den reinen Klang. Das Programm aber und das Podium gehört den Jungen. Eine gelungene Aktion jenseits des pädagogisch-gereckten Zeigefingers und ein authentischer, kleiner Ausschnitt weltweiter Jugendkultur. Gaby Hartel
SFB-Hörfest: 20 Uhr im Großen Sendesaal, Haus des Rundfunks, Masurenalle 8–14, Charlottenburg. Eintritt: 7 Mark. Live- Übertragung: SFB 3, 20 Uhr.
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