Sanssouci: Vorschlag
■ Workshop Freie Musik 94
Der 26. Workshop Freie Musik findet diesmal in der ungewohnten Umgebung des Moabiter Straßenbahndepots statt. Veranstalter des fünftägigen Festivals mit Improvisationskünstlern aus 14 Ländern sind die Akademie der Künste und die Free Music Production. Allabendlich werden je eine Solistin zwischen jeweils zwei Gruppen auftreten. Den heutigen Auftakt gibt der Cellist Tristan Honsinger. Mit zwei Geigern, erfahren in mittelalterlicher bzw. keltischer Musik, dem südafrikanischen Free-Jazz- Veteranen Louis Moholo am Schlagzeug und Ernst Glerum am Doppelbaß wird Honsinger den schmalen Grat zwischen Komposition und Improvisation beschreiten. Die Solistin des gleichen Abends ist die Dichterin und Vokalistin Jeanne Lee, die seit den Sechzigern in ihrem Sprechgesang Wort- und Satzbedeutungen klanglich verfremdet. Das schwedische Trio Gush (auch heute abend) lehnt jede stilistische Zuordnung ab. Flüssige Improvisationen von Schlagzeug und Sax werden ausgewertet und auf den Punkt gebracht vom Pianisten Sten Sandell.
Ein Höhepunkt des weiteren Verlaufs des Workshops ist sicherlich das Doneda Trio Soc (28.4. und 1.5.). Dem französischen Sopransaxophonisten Michael Doneda ist es gelungen, einen unverwechselbaren Personalstil zu kreieren. Seine Kenntnis der Grundmuster verschiedener Folkloren läßt ihn immer wieder nahtlos von einem Idiom ins andere übergehen. Der „Folklorist der Zukunft“, wie ihn ein französischer Kritiker nannte, arbeitet seit fast zehn Jahren mit dem von Cage beeinflußten Perkussionisten Lä Quan Ninh im Trio zusammen, einem Meister der operativen Pausen und der ansatzlosen Vervielfältigung der Schläge. Neu im Trio ist Paul Rogers, der sich mit seinem gruppenintegrativen Baß-Spiel in der britischen Free-Music-Szene längst einen Namen gemacht hat. Noch deutlicher in die Kategorie Sonic-Fiction fallen zwei weitere Gruppen, nicht zuletzt durch die Erfindung neuer Instrumente. Daxofon nennt sich das einzige, mit dem Bogen gestrichene saitenlose Instrument, eingespannte flache Holzblättchen verschiedener Form und Art. Sein Erfinder ist der Gitarrist Hans Reichel, der mit dem Kanadier René Lussier und der Japanerin Ikue Mori das Trio Hickory (30.4.) bildet. Mit E-Gitarren, Daxofonen und elektronischer Percussion wird die Sound-Forschung betrieben. Auf dem Weg zu neuen Klängen, electronic visions, ist auch die Gruppe Das Hukepack um den Berliner Posaunisten Jörg Huke (30.4.). Mit Bob Rutman am Steelcello, dem Keyboarder Wolfgang Mitterer, dem Cellisten Peter Koch und Claudio Puntin an der Klarinette schafft Huke Klangskulpturen – wahre Bastarde, irgendwo zwischen akustischer und elektronischer Erzeugung. Peter Thomé
Heute bis Sonntag, je 20 Uhr, Straßenbahndepot Halle 1, Wiebestraße 29–39, Moabit.
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