Sanssouci: Vorschlag
■ Tröstlicher Besuch: Nick Cave and the Bad Seeds im Tempodrom
Viel ist schon geschrieben worden über unseren Freund. Viel zuviel vielleicht. Jetzt gerade taucht er auch brandaktuell wieder mal auf dem Cover der guten alten Spex auf. Innen drin dann allerlei Witziges, aber wenig Erhellendes über Religion, Religion und noch mal Religion. Dabei stellt der erste O-Ton gleich klar, daß unser Freund damit eigentlich gar nichts mehr am Hut hat. Um darzulegen, daß der liebe Herrgott höchstpersönlich die Geschicke und Stimmbänder unseres Freundes lenkt, braucht's dann auch vier Seiten. Dabei kann man wetten, daß niemand, aber auch wirklich gar niemand, jemals im Buch der Bücher schmökerte, nur weil unser Freund dies ausladend zu tun pflegte. In der Zeit schmissen die sich lieber in dunkle Schale, traten sich die Beine und schütteten sich die Biere in den Bauch in Ex&Pop oder woanders, um ein Blickchen zu erhaschen auf einen der bösen Samen oder unseren Freund selbst.
Aber die von Spex, die wohnen ja auch in Köln, die können das nicht verstehen. Denn für uns wird unser Freund immer nur unser Nikkie bleiben. Auch wenn er uns verlassen hat, um in eine solch ausgesucht unpassende Metropole wie Rio de Janeiro zu ziehen. Niemand kann das verstehen, daß wir hier in dieser Stadt es so genossen, auch mal wieder der Nabel der Welt zu sein. Wenn es schon Lou Reed, David Bowie oder Iggy Pop nicht allzulange bei uns ausgehalten hatten, auf Nikkie schienen wir uns verlassen zu können. Er paßte so gut zu uns und unseren schwarzen Gedanken – und dann Rio. Aber wir haben vergeben, er schickt ja noch Postkarten. Die letzte heißt „Let Love In“, ist wie immer schwarzweiß, und darin erzählt er wieder all die Geschichten, die man sich halt am besten nachts erzählt und dabei der Bourbon-Flasche auf den Grund schaut. Dort finden sich zwar auch keine Lösungen, aber doch immerhin etwas Trost. So wie in dem inzwischen schon zeitlosen Großstadtblues unseres Freundes und der Tatsache, daß er uns nicht vergessen hat und uns wieder einmal besuchen kommt. Wenn dann „New Morning“ als traditionell letztes Stück eines Konzertes verklungen ist, murmeln wir leise Servus und hoffen, daß unsere Stadt doch wieder einmal toller als Rio wird. Thomas Winkler
Heute, 20 Uhr im Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten.
Foto: Polly Borland
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