Sanssouci: Vorschlag
■ 21. Century: Die Zukunft als Rauminstallation in drei Teilen. Jim Avignon im Milchhof
Jim Avignon inmitten seiner Visionen des hochtechnisierten Computerzeitalters: Wasserfarben und Glühbirnchen auf Gemüsekartons Foto: JapA
Können Sie sich ein Bild davon machen, wie das 21. Jahrhundert wohl aus der Sicht des 22. Jahrhunderts aussehen könnte? Jim Avignon kann. Vergangenen Freitag gab er einen ersten Einblick in die Jahre von 2000 bis 2050. Der 26jährige Autodidakt bannt seine Vision des hochtechnisierten Computerzeitalters auf die vergänglichsten Materialien des täglichen Lebens: Mit Wasserfarben und Glühbirnchen auf Umzugsfolie und Gemüsekartons präsentiert er charmant die Zerbrechlichkeit und menschliche Unzulänglichkeit der hochspezialisierten Zukunftsgesellschaft. Avignons labyrinthische Rauminstallation zeigt uns die Zukunft ebenso schillernd wie ein Rummelplatz seine Freaks. Der Besucher wird voll eingespannt: Er muß alles anfassen, Knöpfe und Tasten drücken, über Kisten balancieren und sich durch schmale Lücken zwängen.
Die Prognosen für das nächste Jahrtausend sind dabei ebenso düster wie bizarr. Es wird zwar eine geheimnisvolle Kaktuskrankheit grassieren, aber dafür kann die Gentechnologie das Fascho-Gen ausmerzen – allerdings auch beliebig reproduzieren. Flora und Fauna haben sich zu „Plantimals“ vermischt. Nicht immer zum Vorteil der Menschen, denn sie laufen einfach weg, wenn sie geerntet werden sollen. Aufschlußreich sind auch die Gedanken der Kinder, die man aus ihren Gehirnen lesen kann, wenn man ihre Kartongesichter wie Alibertschränkchen aufklappt: „Später möchte ich meine Mutter heiraten und von Beruf Landschaftspfleger werden.“ Ein zweites Kind hat offensichtlich andere Pläne: „Mit 16 bringe ich mich um“, heißt es da.
Doch Avignon will mehr als nur unterhaltsam sein. „Streß für alle Sinne“ heißt das Motto der Ausstellung. Im Klartext bedeutet das: es wird eine Party gefeiert. Dabei gibt es Getränke zu günstigen Preisen und Technobeats von DJ Paule, „The Intrepid Traveler“. Die erste Eröffnungsfete stieß auf allgemeine Begeisterung, hatte aber auch zur Folge, daß alles kaputtging. Am Tag danach hockt Jim Avignon zwischen seinen Trümmern und flickt alles wieder zusammen: „Ich habe eine wichtige Erkenntnis gewonnen. Für die nächste Woche muß ich die Wege für die Betrunkenen sicherer machen.“ Mit nächster Woche meint er die Fortsetzung seiner Installation „2050 bis 2100“, die am Freitag, den 20.5. zu sehen sein wird.
Es gibt Leute, die bekommen schwere Beine oder sogar grünen Hautausschlag, allein schon wenn sie an ein Museum denken. Genau diese Leute dürften am kommenden Freitag an Avignons Knöpfen und Schaltern spielen. Und das spricht für diese Ausstellung. Der geschätzte Pop-Artist Claes Oldenburg formulierte einmal sehr treffend: „Ich bin für eine Kunst, die nicht auf ihrem Arsch im Museum sitzt.“ Nichts für ungut, Claes, aber genau da befinden sich Deine fallenden Omelettes und ungebügelten Oberhemden aus Pappmaschee doch heute! Avignons Stücke werden dagegen niemals dort enden; schon aus dem einfachen Grund, weil sie nach diesem zweiwöchigen Spektakel wohl kaum noch existieren werden. Spätestens am Sonntag, dem 29.5., wird alles vorbei sein. Bei dem „Big Takeaway“ kann jeder Besucher für nur 8 Mark Eintritt (am besten mit einer großen Schere im Handgepäck) abschneiden und mitnehmen, soviel er kann. Hauptsache, die Veranstaltung gerät nicht wieder so außer Kontrolle wie beim letzten Mal, als immer mindestens drei Leute gleichzeitig an einem Bild zerrten! Kirsten Niemann
Jim Avignon: 21. Century. Im Keller – Betreten auf absolut eigene Gefahr – des Milchhof, Anklamer Straße 29, in Mitte.
Mittwoch bis Sonntag, ab 22 Uhr. Eintritt frei.
20.5. Die zweite Eröffnung – The Years 2050–2100
28.5. Get painted! Come in white pleaz
29.5. Big Takeaway für 8 Mark.
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