Sanssouci: Vorschlag
■ Jan Svankmajer- Werkschau im Tschechischen Zentrum
„Dimensionen des Dialogs“ (1983) Foto: Tschechisches Zentrum
Das sympathisch altmodische Ambiente des Tschechischen Kulturzentrums paßt gut zur Werkschau der Filme von Jan Svankmajer, dessen berühmtester Kurzfilm („Dimensionen des Dialogs“) 1983 den Goldenen Bären gewann. Seit 1970 ist der 59jährige Regisseur Mitglied der Prager, also der letzten existierenden Surrealistengruppe, die sehr stolz darauf ist, daß sie einst noch durch Breton abgesegnet wurde. Der als scheu geltende Filmemacher gehört einer aussterbenden Gattung an, deren Stile und Erfahrungswelten heute längst als anachronistisch gelten, nicht nur weil beliebige Verformungen und Verwirrungen des Festen längst Bestandteil eines jeden Videoclips geworden sind, sondern auch, weil der surrealistische „Glaube an eine höhere Wirklichkeit (...) vernachlässigter Assoziationsformen, an die Allmacht des Traumes, an das zweckfreie Spiel des Denkens“ („Surrealistisches Manifest“) längst kitschig wirkt.
Mit derartigem Harmonieblödsinn haben die 29 Filme von Svankmajer jedoch kaum etwas zu tun. Auch wenn die Verwandtschaftsbeziehungen zu bildnerischen surrealistischen Altstars offenkundig sind, erinnern seine merkwürdigen Animationsfilme doch vor allem an die phantastischen Dingwelten eines Bruno Schulz. Aus dem Gebrauch gekommene Dinge, nutzlos gewordenes Zeug einer geheimnisvollen Trödel- und Kinderwelt kommen schon in seinem ersten Film („Der letzte Trick der Herren Schwarzwald und Edgar“) wieder zu Ehren. Zwei Magier, Marionetten mit zerkratzten Holzgesichtern und schepperndem Räderwerk im Innern, in dem sich so dies und das und auch ein Käfer verbirgt, zerstören sich entschlossen gegenseitig.
Manchmal, wie in den „Dimensionen des Dialogs“, werden die Dinge zu Opfern eines unbarmherzig-kindlichen Formalismus. In der ersten Versuchsreihe ergänzen sich die Dinge, die aus den Mündern zweier sich gegenübersitzender Knetköpfe abrupt fahren: Die Zahnbürste trifft auf die Zahnpasta, der Bleistift wird angespitzt, das trockene Brot mit Margarine bestrichen, der Schuh bekommt Schuhcreme oder Schnürsenkel. Die Dinge behindern sich in ihren möglichen Kombinationen ständig gegenseitig, und das sieht klasse aus: wenn die Schnürsenkel auf das Brot treffen und es zubinden wollen, der Anspitzer den Schuh traktiert etc. Solche Tsching-tschang-tschong-Spiele der Logik liebt Svankmajer, der sein Material gleichberechtigt behandelt: Festes trifft auf Weiches, Organisches vermischt sich mit Anorganischem, Pflanzen verbünden sich mit oder gegen gefertigte Dinge. Knete oder animiertes Plastilin ist sein Lieblingsstoff. In „Dunkelheit, Licht, Dunkelheit“ (1989) entsteht daraus der Mensch. In einem furchtbar kleinen Zimmer sieht man zunächst nur einen Arm; dann klopft es an der Tür, dann kommt ein Auge vorbei, das sich an den Arm klebt. Höflich kommt ein Ohr; der Schwanz macht sehr viel Getöse und bekommt einen Eimer kalten Wassers über den Kopf – dann kann er reinkommen. Usw. usw. bis daß der Mensch komplett ist, und sich an den Wänden des viel zu kleinen Raumes reibt. „Echte“ Schauspieler verwendet er meist nicht anders als unbelebte Dinge. Sie werden animiert. Dann krempeln sie sich die Ärmel hoch, langen tief in den Rachen ihres Gegenübers, ziehen ihm die Zunge ganz weit heraus und legen ein paar Münzen drauf; ein klappernder Aufzug setzt sich dann im Rumpf des Menschen in Bewegung, und man bekommt Würstchen. Oder: Zwei großartig geistesgestört guckende Männer sitzen sich in einem Restaurant gegenüber. Immer wieder rauscht ein Kellner vorbei, ohne sie zu bedienen. Erst verschämt, dann entschlossen beginnen sie ihre Kleider, dann Teller, Messer, Gabel, Tisch und Stuhl aufzuessen („Food“).
Eine pervers kindliche Grausamkeit durchzieht das Werk Svankmajers: Passend zur Fußball-WM metzeln sich die seltsamen Spieler (wo die Nase war, ist ein Wasserhahn) der gegnerischen Manschaften nieder („Mannhafte Spiele“); der weiße Hase in seiner sehr psychedelischen „Alice in Wonderland“-Verfilmung („Alice“ 1987) ist ein ausgestopftes Kuscheltier, dem ständig das Sägemehl aus seinen Eingeweiden rieselt. In seinem Bauch hat er seine Uhr, die holt er ab und an raus und erinnert dabei sehr an den Helden aus Cronenbergs „Videodrome“. Auch klassischen Horror gibt es in den Filmen Svankmajers zu bestaunen. Seine Poe-Verfilmungen (u.a. „Pendel, Grube, Hoffnung“) gehören zum besten des Genres. „Schließen Sie Ihre Augen oder Sie werden gar nichts erleben“, sagt die Stimme eines kleinen Mädchens am Anfang von „Alice“. Doch zuvor sollte man mit offnen Augen ins Tschechische Kulturzentrum taumeln. Im schönen Beiprogramm wird u.a. Rudi Stoert, Mitherausgeber des verdienten Warten-Magazins, mit Ludvig Svab, dem Prager Surrealisten und ständigem Svankmajer-Mitarbeiter, über dies und das plaudern. Detlef Kuhlbrodt
Bis 19.6., Programm erfragen unter Telefon: 208 28 36, Tschechisches Zentrum, Leipziger Straße 60, Mitte.
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