Sanssouci: Vorschlag
■ Ohne Subventionsblues: Das Linear Ensemble improvisiert zwischen Rag und Rap im Franz-Klub
Der Vorsitzende der Union Deutscher Jazzmusiker (UDJ), Joe Viera, der als Mitglied im Jazzbeirat auch den Berliner Kultursenator berät, spekulierte vor einem Monat während des 19. JazzForums der UDJ darüber, woran die Berliner Jazzszene kranke. Sie schmore im eigenen Saft, sei zu projektorientiert, betreibe weder Imagepflege noch Informationspolitik und beklage sich dann noch, daß man sie anderswo nicht zur Kenntnis nimmt. Das sind also die Altlasten der Insulaner, könnte man meinen; aber „so dünn ist die Decke dann doch nicht“, fügt der Musiker und Jazzveranstalter Johannes Bockholt hinzu. Das mußte auch wirklich mal gesagt werden. Denn der Subventionsblues, über den selbsternannte Szenevertreter jahrein jahraus mit vertrauten Skalen improvisieren, ist ein leidiges Thema, das an Aktualität kaum eingebüßt hat – allein zum Konzert reicht es nicht.
Daß sich fernab subventionierter Kunst tatsächlich noch sogenannte Working Bands formieren – wie Gruppen mit fester Besetzung und intensiver Probenarbeit im Szenejargon genannt werden –, ist zumindest bemerkenswert. Und daß der vielbeschworene eigene Sound einer Band nicht beim Senat beantragt werden kann, sondern bestenfalls durch ausdauerndes Experimentieren im Kollektiv sich bildet, davon zeugt zum Beispiel die Musik des Linear Ensembles, das sich durch David Friedman und Jane Ira Bloom inspiriert 1990 in Berlin gründete.
Neben Simon Pauli, Baß, Frank Schimmelpfennig, Gitarre, und Schlagzeuger Bockholt spielt in dieser stilistisch sehr heterogenen Formation die Sopransaxophonistin Tina Wrase, die zu den überzeugendsten VirtuosInnen zu zählen ist, die die hiesige Szene derzeit aufweisen kann. Zusammen mit Bockholt ist sie auch in Schlippenbachs „Improvisers Pool“ aktiv, sowie in der kurdischen Frauenband NUR und dem Quadrilla Saxophonquartett. Von einem mehrmonatigem Studienaufenthalt am südindischen Karnataka College kehrte sie mit einer Reihe eigener Kompositionen zurück, die wesentlich den aktuellen Sound des Linear Ensembles prägten, das grundsätzlich nur Eigenkompositionen spielt und sich somit offenhält für musikalische Veränderungen. „Ein kurzer Schritt in eine andere Welt“, „Young and Juicy“ oder „Together Alone“ – so heißen Kompositionen des Ensembles zwischen Rag und Rap, dem Moods und Melodie wichtiger sind als Imagegeklängel und Fließbandbop. „Too heavy for words“, so Wrases jüngster Titel für das pianolose Elektrik-Quartett, ließe sich da fast programmatisch nennen. Christian Broecking
Heute, 22 Uhr, Franz-Klub, Schönhauser Allee 36–39.
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