Sanssouci: Nachschlag
■ Hölderlin-Fragment „Pharsalia, der Bürgerkrieg“ im BE
Wenn Theaterinszenierungen nicht nur bedeutungsschwanger, sondern auch auffällig lang betitelt sind, ist das verdächtig. In diesem Fall heißt es „Hölderlin Pharsalia – Der Bürgerkrieg. Wildharrend in der furchtbaren Rüstung, Jahrtausende.“ Nicht weniger als drei Autoren verbergen sich dahinter – für 80 Minuten ein bißchen viel. Erstens Herr Hölderlin. Vorname Friedrich. Und ein gewisser Marcus Annaeus Lucanus. Dichter im alten Rom und vom schrecklichen Kaiser Nero zum Selbstmord gezwungen, was damals eine geläufige Form des Todesurteils für Staatsfeinde war. Er schrieb im Jahr 65 das lateinische Original, von Hölderlin gut 1.700 Jahre später übersetzt und nachgedichtet. Dann schließlich Heiner Müller, aus dessen Werk sich Stephan Suschke, der Regisseur des Abends, den Untertitel entlehnte. Und mit ihm das Stichwort: „Jahrtausende.“ Denn die sollen hier im theatralischen Parcours mit Siebenmeilenstiefeln durchmessen werden. Es geht los mit der Schlacht bei Pharsalus, wo 48 v.Chr. die Armeen des republikanischen Pompejus denen von Caesar – Diktator in spe – blutig unterlagen, und führt über Nero, den Urvater aller wahnsinnigen und blutrünstigen Schreckensherrscher, bis zur Französischen Revolution, die gerade begonnen hatte, als der gute Hölderlin das Werk des Lucan wieder ausgrub. Unser schnödes Heute dringt via Fernsehschirm als Dauernachrichtensendung in das zeitlos apokalyptische Ambiente aus Kleiderbergen, mit denen Annette Murschetz die Probebühne des Berliner Ensembles kniehoch bestückte. Und durch diese Berge schreiten alsbald die drei Schauspielerinnen Carmen-Maja Antoni, Christine Gloger und Annemone Haase mit Hölderlins Klagegesängen auf den rotgeschminkten Lippen, die durchflochten sind von all den Worten, die dichtende Männer so sehr lieben: Schlacht und Blut und Tod und Untergang, Nation und Eingeweide, Grimm und Kampfbegier. Die übergroßen, dunklen Mäntel, die die Frauen überm schwarzen Unterrock tragen, rascheln und rauschen düster, vermitteln aber kaum mehr als den Eindruck, daß der Regisseur bei seiner Hölderlin-Lektüre tief beeindruckt war. Die Vorahnung, daß den Titel vollpackt, wer in der Inszenierung nichts zu erzählen hat, bestätigt sich schnell. Respekt für die drei Schauspielerinnen, denen man angesichts des vielen Textes, den sie zu lernen hatten, tröstend zurufen möchte: Nicht für das Theater lernen wir, sondern für das Leben. Esther Slevogt
Nächste Vorstellungen: 10., 25.6., 2./3.7., 20 Uhr, Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen