piwik no script img

SanssouciNachschlag

■ Choreographien von Thomas Mauk im Tacheles

Zwischen den Seilen, Detail Foto: Ben Hansen

Zuneigung wird keine Zuneigung. Zwar kippt das sinnliche Begehren in animalisches Verlangen, doch die von der Lust elektrisierten nackten Tänzer frönen dem Sex mit maximaler Austauschbarkeit. Zu Beginn der Aufführung hängen sie noch als Installation im Zuschauerraum des Tacheles, küssen, streicheln, liebkosen sich. Wenig später gipfelt die Balz in Brustwarzenspielen und Latexpraktiken. Und mit der Balz kommen die Tränen: Ein Mann zappelt auf dem Bühnenboden wie ein Fisch auf dem Trockenen. Der Virus martert die Psyche.

Mit „Stranger than Love“ macht der in Amsterdam lebende Tänzer und Choreograph Thomas Mauk die Allmacht des HIV- Virus zum Thema. Ein Stück über verhängnisvolle Affären, ein Stück mit ästhetischen Momenten, kein Stück jedoch, das die Zuschauer peinigt: So bekannt wie die Botschaft einerseits ist, so undurchsichtig bleiben die Aktionsmuster andererseits. Insbesondere im zweiten Teil machen die vier Tänzer den Charakter von „Stranger than Love“ deutlich: Sie gleiten in alle Richtungen auseinander. Das alles reicht für einen Tanztheaterabend kaum, würden die Besucher nicht anschließend von Mauks bewegender Performance „Disparu“ gegeißelt. Das Stück wurde im vergangenen Jahr von der Stadt Konstanz mit dem „Internationalen Performance Preis“ ausgezeichnet. Filmausschnitte zeigen die leidenschaftliche Beziehung zwischen dem Künstler und dem an Aids gestorbenen Freund Thierry de Ravel. Davor tanzt Mauk seine Gefühle: Verzweiflung, Trauer und Schmerz. Mal treibt ihn der Virus schreiend über die Bühne, mal dreht er sich schwindelerregend im Kreis, als könne die Zentrifugalkraft den Kummer aus dem Körper treiben. Das zu sehen ist schaurig. Doch die Beklommenheit, die der Besucher beim Anblick dieser kunstvollen Auseinandersetzung mit der Perfidie des Virus spürt, wechselt durch poetische Einschübe in eine erträgliche Leichtigkeit. Etwa, wenn Mauk in einem ruhigen Moment ein Volkslied der tschechischen Roma singt. Da scheint er in einen tiefen Traum abzutauchen, dessen Ultima ratio Hoffnung heißt. Hoffnung, sich erneut wie mit Ravel hingeben zu können, sich wie er loslassen zu können. In einem Gedicht von Ravel heißt es: „Zwei Seelen, getrennt in einem Ozean voller Zärtlichkeit und Leidenschaft. Treiben hin zu ihrem Ziel – ohne Kontrolle – oder nur ein bißchen.“ Tomas Niederberghaus

Tanzkompanie Fusion en bloc: „Stranger than love/Disparu“, noch bis 10.7., 20.30 Uhr, „Disparu“, Tacheles, Oranienburger Straße 54–56, Mitte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen