Sanssouci: Nachschlag
■ Uraufführung: Musical will Studentenwirklichkeit zeigen
Das Klischee vom Langzeitstudenten hat seit einiger Zeit Konjunktur. Nicht genug, daß dieses Gespenst in deutschen Köpfen umhergeistert und als Sündenbock für die Bildungsmisere herhalten muß – jetzt betritt erstmals ein Prototyp dieser Spezies als Held eines Musicals die Bühne. Angesichts der Uraufführung des Musicals „Wer Schmetterlinge lachen hört“ hätte es dem Wissenschaftssenator in den Ohren klingeln müssen. Denn der Student Nestor, Hauptperson des Stückes, ist die fleischgewordene Antithese zu einer effektiven Bildungspolitik. Bei sei
Christoph Pagel, Nina Amin und
Nina BergerFoto: Thomas Aurin
nem ersten Auftritt liegt er – natürlich – noch im Bett. Er sinniert über die Metaphysik des Daseins, ist ein verklemmter Schwächling und hat Angst vor erfolgreichen Frauen. Ausgerechnet einer solchen namens Lola läuft er in die Arme.
Das Musical ist das Ergebnis eines autonomen Projekttutoriums von StudentInnen und MusicalschülerInnen. Das erklärt das Sujet. Beabsichtigt ist eine „wirklichkeitsnahe Handlung“, die um die Alltagsprobleme eines Studenten kreist. Herausgekommen bei dieser Kollektivproduktion der MPS Show Company ist aber leider ein Konglomerat von Klischees: Der geldgeile Geschäftsmann Frank, die erfolgreiche, aber einsame Lola, die empfindsame Künstlerin Sophie und der unvermeidliche Mitbewohner Marc sind eindimensionale Figuren, die eher Vorurteile als Wirklichkeitsnähe widerspiegeln. Dies könnte ein Kunstkniff der Satire sein. Leider ist Ironie nur an wenigen Stellen als solche zu erkennen, etwa beim schnulzigen Liebesduett, wenn die Liebenden mit Konfetti überschüttet werden. Das liegt zum einen an der mangelnden Distanz der Darsteller zu dem Bühnengeschehen. Sie sind verliebt in ihre Figuren und geraten immer wieder in echte Empfindsamkeit. Zum anderen ist die Musik ein Desaster. Eifrig bemüht, kommerziellen Musicalnummern nachzueifern, bleibt sie meistens auf dem Niveau schnulziger Popballaden.
Das alles ist schade. Denn die ambitionierte Aufführung hat inspirierte Momente: Ein cooler Kellner-Rap, ein surrealistischer Voodoo-Tanz und eine Voyeurszene mit Straßenkids – dann eben, wenn mal auf die Darstellung empfindsamen Innenlebens verzichtet wird. Auch Bühnenbild, Licht und abstruse Kostüme schaffen eine nüchtern ironische Atmosphäre, die aber letztlich durch die konventionelle Musik zerstört wird. So bleibt nur ein Stück, das in Inhalt und Musik biedere Gemeinplätze zitiert. Die schlimmsten Vorurteile über studentisches Leben werden hier bestätigt. Wie wär's mit einer Freikarte für den Wissenschafssenat? Christine Hohmeyer
„Wer Schmetterlinge lachen hört“, wieder 14.–17.7., 20.30 Uhr, Werkstatt der Kulturen, Wissmannstraße 31–42, Neukölln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen