Sanssouci: Nachschlag
■ Auftritt eines großen Verführers: Sten Nadolny las im LCB
Ein Abend fürs Grüne, für Biergärten und Straßencafés. Aber alle sicher proppevoll. Also ab ins Literarische Colloquium. Hohe, weite Räume. Sten Nadolny würde aus seinem neuen Roman lesen. Bei der Hitze kommt niemand, dachte ich. Man würde in bequemen Sesseln weit auseinander sitzen, die verschwitzten Hemden ab und zu dezent vom Körper lösen und entspannt zusehen, wie Angela Krauss, Burkhard Spinnen und Hans Christoph Buch unter der eloquenten Führung von Hajo Steinert mit dem gelassen-heiteren Sten Nadolny über „Ein Gott der Frechheit“ diskutieren. Es kam ganz anders. Der Vortragsraum des LCB war am Dienstag schon eine Viertelstunde vor Beginn der Lesung voll besetzt, und als es viertel nach Acht losgehen sollte, da waren noch einmal soviel Stühle aufgestellt, die Türen zum Nebenraum geöffnet worden und mehr als 150 naßgeschwitzte Leiber hockten eng beieinander und warteten, sich nervös Luft zufächelnd, auf den Dichter.
Nadolny wurde vor elf Jahren berühmt mit der „Entdeckung der Langsamkeit“. Sein neuer Roman „Ein Gott der Frechheit“ wird am 18. August bei Piper erscheinen. Die Zuhörer waren begeistert von Nadolnys Schelmenroman um die Rückkehr des Gottes Hermes ins 20. und 21. Jahrhundert. Nadolny macht das Erzählen Spaß. Er liebt überraschende Wendungen, ironische Ausschweifungen, Anspielungen. Die teutsche Tugend Bierernst geht ihm ab. Als der Moderator Angela Krauss nach ihrem Urteil über den Roman fragte, antwortete sie: „Ich habe die Fahnen zweimal gelesen. Beim ersten Mal war ich hingerissen, begeistert. Beim zweiten Mal las ich sie als Kollegin, sah mir an, wie er es macht. Ich bin voller Bewunderung.“ Sie sah ihn an. Er saß lang und schlank in einem sattblauen Hemd neben ihr. Die Haut leicht gebräunt. „Ein rasantes Buch, trocken erzählt. Keine Mätzchen, kein Schmalz. Er legt keine Leimruten aus. Es gibt keine Stelle, wo der Leser das Gefühl hat, er müsse seinen Verstand abgeben. Aber Nadolny bezaubert einen. Wissen Sie, ich bin eine Leserin, die verführt werden will, aber er macht es nicht. Ich lese weiter und warte, daß er mich verführt. Er tut es nicht. Und schon habe ich das Buch zu Ende gelesen.“
Während die Leipziger Autorin sich in Begeisterung redete, hatte sich Nadolny immer tiefer in den Sessel verkrochen. Er nahm die Spitze der Oberlippe zwischen Zeigefinger und Daumen und zog an ihr. Der große breitschultrige Mann mit der dicken schwarzen Brille saß da wie ein Säugling und schwamm im Glück. Ulrich Wedel
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