piwik no script img

SanssouciVorschlag

■ Nicht mehr alles ganz so New Wave: The Pretenders spielen vor Bryan Adams in der Waldbühne

Ich war noch recht jung im Jahre 1980, aber Chrissie Hynde habe ich geliebt. Am obertollsten fanden wir alle „Precious“ vom Debütalbum, und da vor allem die Stelle, wo Hynde mitten in ein Break ein „Fuck off“ hineinplaziert, dessen schneidende, arrogante Bestimmtheit man nicht beschreiben, sondern nur hören kann. Zugegebenermaßen war uns nicht im entferntesten klar, daß die zwei Worte exakt an kleine Wichser wie uns adressiert waren.

Chrissie Hynde hatte immer das Glück (oder war's Klugheit?), nicht als Role Model zu enden, vielleicht war sie dafür auch einfach nicht blond genug. Vor allem war sie immer eine Frau, die nicht das tat, was man von ihr erwartete, und der nicht das passierte, was zu erwarten war. Angefangen hatte die US-Amerikanerin Hynde in London als Schreiberin für den New Musical Express und gehörte dort Ende der siebziger Jahre zum konservativen Flügel, was sie jedoch nicht daran hinderte, die Pretenders zu gründen, um sich mit ihnen an die Spitze dessen zu setzen, was man damals New Wave nannte. Absurderweise mit durchaus traditionellem Rock, der aber etwas atmete, was seine Vorbilder unwiederbringlich verloren hatten. Kaum waren die Pretenders mit ihrer ersten Single und ihrer ersten LP jeweils auf Platz 1 in den britischen Charts gelandet, hatten eine ebenso gute zweite LP nachgeschoben, beförderten sich Gitarrist und Bassist per Drogen ins Jenseits. Es dauerte mehr als zwei Jahre, bis mit „Learning To Crawl“ das erste Comeback gelang. Zwischenzeitlich hatte Chrissie Hynde ihren Ziehvater, das Vorbild, den Jugendschwarm Ray Davies geheiratet und vom Chef der Kinks ihr Wunschkind bekommen. Nur ein Jahr später heiratete sie allerdings das Simple Mind Jim Kerr, was uns dann doch tief traf: ausgerechnet diese Weichbacke. Überhaupt eine Zeit, in der es recht wunderlich wurde um sie. Das geradezu peinlich auf Chartverwertbarkeit getrimmte „Get Close“ mit der erstmals auch hierzulande erfolgreichen Single „Don't Get Me Wrong“ zierte die Beteuerung unter dem Bandfoto, daß diese Platte aufgenommen wurde, ohne irgendwelchen Tieren einen Schaden zuzufügen. In Interviews entpuppte sich Hynde als Hardcore-Vegetarierin, die haarscharf an der Grenze zur Öko-Faschistin entlangschlidderte und die Anwendung der Todesstrafe nicht in allen Fällen ausschloß.

Spätestens seitdem sind die Pretenders nur mehr eine Rockband. Zwar ist die neue Platte „Last of the Independents“ überraschend flott und schartig geraten (sieht man mal von der unerträglichen Single „I'll Stand By You“ ab), aber es ist nicht mehr viel geblieben von der selbstbewußten feministischen Revolte. Heute kennt man sie eigentlich nur noch für ihre Balladen und eben nicht mehr für „Precious“. Und Christine Elaine Hynde ist nun 42 Jahre alt und nennt sich immer noch Chrissie. Thomas Winkler

Um 20 Uhr, Waldbühne, im Vorprogramm von Bryan Adams.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen