Sanssouci: Nachschlag
■ Genets "Zofen" im Fly & Dream/Goethe Theater
Der Theaterleiter, Regisseur, Kassierer und Einlasser in einer Person, Boris von Emdé, hat einen Hang zu „Experimenten“. Im März eröffnete er sein Flughafentheater mit einem Stück von Marguerite Duras, das in voller Länge auf deutsch und französisch gegeben wurde: ein schulmeisterlicher Beitrag zur deutsch- französischen Freundschaft. Dieses Mal nun geht es ihm im weitesten Sinne um Geschlechterverbindung. Hatte Jean Genet die drei Frauenrollen im Stück „Die Zofen“ 1947 ursprünglich für Männer geschrieben und wurden diese schließlich doch von Frauen erobert, so besetzt Boris von Emdé die Rollen nun doppelgeschlechtlich – und hebt damit jegliche Wirkung auf. Die Inszenierung gerät zur menuetthaft abgeschrittenen Zirkulation, in der ohne Unterlaß die Konstellationen der Paarbesetzung von Solange und Claire gewechselt werden.
Spiegelbildlich bewegen sich die DarstellerInnen auf der blumenüberladenen Bühne und zerhacken die Dialoge: gesprochen wird stets zu derjenigen Besetzung der betreffenden Figur, die nun gerade nicht antworten wird. So wird die Aufmerksamkeit der ZuschauerInnen durch permanentes Rätselraten absorbiert: „Wer spricht gerade zu wem?“. Dem Gesprächsverlauf mit den Augen zu folgen ist so, als ob man bei der TV-Übertragung eines Eishockey-Spiels den Puck zu entdecken versucht. Diese formale Verwirrung der ZuschauerInnen ist um so anstrengender, als Genets Geschichte ohnehin zwischen „Spiel“ und „Spiel im Spiel“ pendelt. Die Zofen nämlich planen, nach einer mißglückten Intrige, ihre Herrin mit Lindenblütentee zu vergiften. Diesen Mord nun stellen sie zur Vorbereitung nach, wobei jeweils die Zofen abwechselnd den Part des Opfers übernehmen. Aus Angst vor entlarvenden Fehlern zerfleischen sie sich zunehmend mit Verdächtigungen und Vorwürfen; wiederum als Spiel im Spiel wird das Verhalten der jeweils anderen nachgeäfft. Das endet mit dem Gifttod Claires und der völligen Verwirrung der ZuschauerInnen. So geht Solanges düstere Vision, die Verherrlichung ihrer selbst zur heldenhaften Mörderin, leider im Verwirrspiel unter.
Auch für die Spielenden ist es offensichtlich kein sonderliches Vergnügen, ihre jeweiligen Stichworte genau abzupassen. Hier wurde die Spiellust mit der Regiepeitsche ausgetrieben – das ändert auch nicht „Madame“ (Maria Gräfe), die mit kitschigem Overacting erst Abwechslung in die Aufführung bringt, dann aber mit ihrer pausenlos übertriebenen Geste erschlägt. Petra Brändle
„Die Zofen“ von Jean Genet; noch bis 5.11., jeweils um 20 Uhr, im Fly & Dream/Goethe Theater, im Flughafengebäude Tempelhof, Platz der Luftbrücke.
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