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■ Menninghaus und Forster über „Lärm und Schweigen“

Noch bis kurz vor seinem Tod war John Cage davon überzeugt, sein bestes, wirklich entscheidendes Stück sei das legendäre stille Stück „4'33''“ (1952) gewesen. Es hat drei Sätze, und in keinem dieser Sätze gibt es einen Ton. Weit davon entfernt, das Publikum mit nichts zu langweilen (wenngleich Cage auch davor nicht zurückschreckte und 1949 einen Vortrag „über nichts“ hielt), verfolgte Cage mit „4'33''“ ein anspruchsvolles Konzept: Sein Ziel war es, ein Stück zu komponieren, das von den Intentionen seines Autors restlos befreit ist. Das New Yorker Uraufführungspublikum wußte es ihm damals nicht zu danken und verließ beim dritten Satz türenschlagend den Saal.

Nicht anders erging es Beckett in Paris, als er 1969 sein Stück „Atem“ aufführte: ein Schrei, ein Atem, und sonst nichts. Weiter reduzieren ließ sich Theater nicht, und seitdem war für Beckett damit auch Schluß. Eine Schrumpfform von Theater hatte er in seinem vier Jahre zuvor geschriebenen Stück „Come and Go“ noch ein letztes Mal aufzucken lassen: Immerhin kommen in ihm noch drei Schauspieler, 36 Sätze und 14 Schweigesequenzen vor. Heinz Holliger hat das Ganze für drei Bratschen umgeschrieben, das Ergebnis war kürzlich im Rahmen der Holliger-Reihe der Festwochen zu hören. Zwar stürmte hier niemand davon, doch ein Publikumsrenner waren die vier großartigen Holliger-Konzerte nicht.

Daß so verschiedene Künstler wie Cage, Beckett und Holliger gleichermaßen eine Provokation für ihr Publikum sind, kommt nicht von ungefähr: stehen sie doch exemplarisch für ein Kunstschaffen ein, das sich hartnäckig an den Rändern der eigenen Kunst bewegt – beim Lärm und beim Schweigen. Unter dieses Motto haben die Festwochen-Veranstalter daraum auch den letzten Diskussionsabend ihrer Nachdenk-Reihe „Leitmotive im 20. Jahrhundert“ gestellt und damit den Anspruch nicht gerade tief gehängt. Denn die Frage nach den Grenzen der jeweiligen Kunst ist mehr als bloß ein Leitmotiv, sie ist die entscheidende Frage, der sich die gesamte ästhetische Moderne verschrieben hat. Der Berliner Literaturwissenschaftler Winfried Menninghaus hat für diesen veränderten Status der modernen Kunst eine großformatige These parat: die Versuche ins Unhörbare hinein, deutet er als eine „Akustik des Heiligen“. Zwar steht der traditionelle Begriff der Kunst zweifellos auf dem Spiel, wenn mit Mallarmé die weiße Seite zur Literatur avanciert, Rauschenberg die leere Leinwand zur Kunst erklärt und Cage sein stilles Stück für sein Meisterwerk hält, doch ob die Sache gleich so metaphysisch, gar theologisch verstanden werden muß, darüber wird mit ihm der Kunst- und Architekturhistoriker Kurt W.Forster von der ETH Zürich, der selbst ein Schüler von Pierre Boulez ist, debattieren. Ein hochkarätiges Tête-à-tête also, auch wenn es das Rätsel der modernen Kunst nicht lösen wird. Andrea Kern

Winfried Menninghaus: „Akustik des Heiligen“; Kurt W.Forster: „Sprache und Stille der Musik im Zeitalter von Lärm und Schweigen“. Heute, 18 Uhr, Staatsbibliothek, Otto-Braun-Saal, Potsdamer Straße, Tiergarten.

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